«Das Himmlische lebt in seinen Tönen»

Seine Musik ist sogar für Kenner schwer einzuordnen. Gluck und Grétry scheinen am Horizont aufzutauchen. Aber die ästhetische Autonomie und der subjek­tive Tonfall wischen jeden Anflug eines klassizistisch getönten Pathos weg. Sie weisen auf eine spätere, frühromantische Zeit. Über Joseph Martin Kraus und sein Œuvre ging die Geschichte zwei Jahrhunderte lang stillschweigend hinweg. Nun erst beginnt das Interesse an dem Mozart-Zeitgenossen wieder zu erwachen. Streichquartette und Symphonien liegen auf CD vor. Jetzt erobern seine Opern die Bühne. Nach «Proserpin» (Schwetzingen und Mainz) und «Soliman» (Luzern) brachte die Stuttgarter Staatsoper mit «Aeneas in Karthago» (1790) das musiktheatralische Hauptwerk von Kraus heraus: als Uraufführung. Der Komponist hat sein fünfaktiges Riesenopus nie gehört.

Ich scheine dafür prädestiniert zu sein, Opern zu schreiben, die nie aufgeführt werden.» Diesen Stoßseufzer seines Librettisten Johan Henrik Kellgren, der haarscharf voraussagte, was mehr als zweihundert Jahre danach noch immer Gültigkeit besitzt, hätte auch der Komponist Joseph Martin Kraus selbst äußern können.

Immerhin ist das Mozart-Mega-Jahr 2006 zu einem kleinen Kraus-Jahr geworden, in dem seine drei überlieferten schwedischen Opern wenigstens im deutschsprachigen Raum zur Aufführung kamen: «Proserpin» in Schwetzingen und Mainz, das Singspiel «Soliman den Andra» (untermischt mit Mozarts Fragment «Zaïde») in ­Luzern und sein musiktheatralisches Hauptwerk «Aeneas i Cartago eller Dido och Aeneas» in Stuttgart.
Kraus, der mit Mozart das Geburtsjahr, sonst aber kaum etwas gemein hat, stammte aus dem Odenwald. Die Jugend verbrachte er in Buchen, wo sein Vater als kurmainzischer Beamter lebte. Entscheidend für seinen weiteren musikalischen Bildungsgang wurde der Besuch des Jesuitengymna­siums in Mannheim in den Jahren 1768-1773. Die Residenz von Kurfürst Karl Theodor war damals eine weit über die Pfalz hinausstrahlende Musikmetropole, die dem Heranwachsenden die Begegnung mit dem ...

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Opernwelt Jahrbuch 2006
Rubrik: Wiederentdeckung des Jahres, Seite 26
von Uwe Schweikert

Vergriffen
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