Oscar und die Prinzessin
Ungläubiges Staunen, als sich der Vorhang hebt: Der Blick fällt auf eine großzügige viktorianische Bibliothek mit kleinem Schreibtisch und Leselampe. Im angrenzenden Salon speist eine Abendgesellschaft und lästert über den Sohn des Hauses – Oscar Wilde. Einer Gruppe junger Offiziere ist es nebenan wohl zu heiß geworden, locker parlierend bedecken sie erst, wenn die Musik einsetzt, die entblößten Oberkörper. Derweil begrüßt der Dichter den Sänger des Narraboth mit Kuss und stattet ihn ebenfalls mit einem schmucken roten Uniformjäckchen aus.
Doch die Irritation legt sich schnell, denn Brigitte Fassbaender hat den Subtext der «Salome» in ihrer bislang kühnsten Regie (und nach «Rosenkavalier» und «Die Frau ohne Schatten» dritten Strauss-Oper) konsequent freigelegt: Textdichter Wilde (der Tänzer Martin Dvorak) entpuppt sich als Regisseur seiner Figuren und ist doch vor allem das Alter Ego eines Mannes: Johannes des Täufers, dessen vokale Ergüsse aus dem Keller er tanzend nachvollzieht. Clou der Aufführung: Salome hat in ihrem «Tanz der sieben Schleier» einen Partner – eben den Autor, der sich statt ihrer entkleidet. Er ist es auch, der am Ende auf dem Mühlrad, mit dem Jochanaan ...
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