Wie lange halten Countertenöre?

Neue Recitals von Andreas Scholl und David Daniels

Zwei Stücke aus der Hohen Messe, zwei aus der Johannes-, drei aus der Matthäus-Passion, eine Handvoll Kantaten-Arien: David Daniels’ Bach-Recital «Sacred Arias & Cantatas» ist gewöhnungsbedürftig. Vor allem, weil die Dramaturgie der CD Fragen aufwirft. Auf das kontemplative «Qui sedes» folgt das «Agnus Dei», dessen g-moll-Depression keinen Sinn macht ohne den vorhergehenden «Osanna»-Jubel. Von «Von den Stricken meiner Sünden» vom Anfang der Johannes-Passion springt der amerika­nische Countertenor direkt zu «Es ist vollbracht» ans Ende.

Intelligente Bezüge im Werk Bachs stiften solche Übergänge nicht.
Gleichwohl hat die Interpretation hohe Qualität. Wenn man Daniels’ nasalen Alt mag (und er hat seine Reize!), könnte man ihn «apart» nennen. Für einen 42-Jährigen ist er aber erstaunlich früh ge­altert: In der Höhe wird er grell und flack­rig; auf langen Noten macht sich gegen Ende zu regelmäßig unkontrolliertes Vibrato breit. Auch die Vorschläge und Zweiunddreißigstel-Fiorituren sind nicht immer sauber geführt. An seiner deutschen Diktion und Phrasierung hat Daniels fleißig gearbeitet. Aber vielleicht hätte er sich doch lieber Händel zuwenden sollen, zumal er Bach im hochdramatischen ...

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Opernwelt Dezember 2008
Rubrik: Medien/CDs, Seite 28
von Boris Kehrmann

Vergriffen
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