«Es treibt mich»

Die «Opernwelt»-CD des Jahres 2005 war Anny Schlemm gewidmet und ­präsentierte ein herrlich ins Ohr ­gehendes Finale aus einer unbekannten Oper: «Lorelei» von Felix Mendelssohn Bartholdy. Das Stück ist nie fertig geworden: eines der vielen Opernprojekte, mit denen sich Mendelssohn lange ­herumschlug. Warum sind sie alle, von ein paar Jugendwerken abgesehen, ­gescheitert? Der folgende Essay wertet viele wenig bekannte Quellen aus und zeichnet ein detailliertes Bild von Mendelssohns Opernplänen, in die auch berühmte Textdichter wie Eugène Scribe und ­Emanuel Geibel einbezogen waren. Ein faszinierender Blick in Mendelssohns Gedanken- und Komponierwerkstatt, der nicht nur ein zähes Ringen um ­Sujets und Textformen aufdeckt, ­sondern auch die teils utopischen, teils widersprüchlichen Wünsche des ­Komponisten.

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Ein Essay über «Mendelssohn und die Oper» könnte knapp ausfallen, ja wäre letztlich uninteressant, hielte man sich – wie dies im Falle der Instrumentalkompositionen, Oratorien oder Lieder selbstverständlich ist – an das Faktische: an Opern, die vollendet und von Mendelssohn der Nagelprobe des ­öffentlichen Urteils ausgesetzt worden sind. Man hätte es mit lediglich einem einzigen Werk zu tun: dem im April 1827 im Berliner Schauspielhaus uraufgeführten Singspiel Die Hochzeit des Camacho.

Diese erste und letztlich einzige Oper, komponiert im Alter von sechzehn Jahren1, trug, vertraut man dem Urteil Eduard ­Devrients, alle Züge eines «Knabenwerks»2 und wurde ein «Flop». Mendelssohn selbst war so enttäuscht, dass er noch «vor Schluß der Vorstellung davonlief».3 Dieser bescheidenen Bilanz im Bereich des operngeschichtlich Faktischen steht nun das erstaunliche Phänomen gegenüber, dass Mendelssohn seit frühester Kindheit eine Reihe zumeist kleinerer Opern offenbar mit Vergnügen aus Anlass von Familienfesten komponiert und in privatem Rahmen zu Gehör gebracht hat, dass er bis an das Ende seines Lebens immer wieder fest entschlossen war, sich der Oper zuzuwenden, und dementsprechend ...

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Opernwelt Jahrbuch 2007
Rubrik: Mendelssohn Bartholdy, Seite 66
von Sabine Henze-Döhring

Vergriffen
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