Im Diesseits
Nicht immer sagt das Äußere so viel über das Innere aus wie an diesem faszinierenden Opernabend. Um sich mit Immo Karamans Deutung von Bizets «Carmen» am Badischen Staatstheater auseinanderzusetzen, tut man gut daran, bei den Kostümen von Fabian Posca zu beginnen – bei Carmen und Micaëla. Sind es wirklich zwei Frauen? Oder ist die eine nur eine Projektion der anderen? Zum Vorspiel sieht man auf der Bühne eine winzige, billige Wohnung mit Schlafzimmer und Diele. Auf dem Bett liegt ein schlafender Mensch.
Ein Mann überschüttet alles mit Benzin und entfacht zu den Klängen des Schicksalsmotivs das Feuer. Don José tötet Carmen. Oder Micaëla?
Beide haben die gleiche Figur, nahezu identische Kleider. Ein Muster, das wiederum dem der Tapete gleicht. Wie Vexierbilder werden Carmen und Micaëla im Verlauf des Abends ineinander übergehen. Mit winzigen Unterschieden. Oft ist Carmens Kleid mit Pailletten besetzt; manchmal trägt sie auch schwarz. Zu ihrer Habanera zieht ihr jemand das Kleid aus, die Corsage darunter ist wie ein champagnerfarbener Panzer, ihre Haltung auf dem Bett lasziv, aggressiv, ordinär. Carmen ist jene Femme fatale, nach der Don José sich bei Micaëla sehnt. Zu dieser ...
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Opernwelt März 2023
Rubrik: Panorama, Seite 47
von Alexander Dick
Das ganze Drama ist im Grunde erzählt, noch bevor viele Worte gefallen sind. Der Schmerz, die Sehnsucht (welche nur diejenigen Menschenkinder wirklich kennen, die wissen, welches Leiden mit ihr einherzugehen vermag), der Dualismus aus Liebestäuschung und -ent täuschung, die tiefsitzende Verzweiflung, das einsickernde Gift der Rache – alles ist bereits im «Prelude»...
In Marco Štormans Stuttgarter Inszenierung von Wagners «Götterdämmerung» ist die Apokalypse bereits vorüber, wenn sich der Vorhang hebt. Die verdorrte, von Wotan selbst abgeholzte Weltesche schwebt wie ein Menetekel als Strandgut vom Schnürboden herab. Wenn sie am Ende wiederkehrt, begräbt sie den im Rheinrinnsal gierig nach dem Ring fischenden Hagen und erschlägt...
Jacques Offenbach widerlegte Theodor W. Adorno bereits vier Jahrzehnte vor dessen Geburt: Schließlich beweisen seine Operetten, dass es sehr wohl ein «richtiges Leben im falschen» gibt. Zumal das «Pariser Leben» ja nur so vor Täuschungen durch Masken, Kostümierungen und Dekorationen strotzt, die im provinzadligen dänischen Ehepaar von Gondremark (Heike Wittlieb und...