Der geteilte Himmel
Die Musik, so hat es, überaus sinnfällig, Claude Debussy einmal notiert, sei für das «nicht Auszudrückende» geschaffen, also im Kern für das, was man mit Worten kaum oder gar nicht mehr sagen könne. Diese Sentenz war dem Moralphilosophen und Musikologen Vladimir Jankélévitch ein tieferes und ausgiebigeres Nachdenken wert, mit dem Ergebnis, dass er ein Buch schrieb, welches Debussys Bonmot noch verfeinerte.
Das Mysterium der Musik, so Jankélévitch, sei nicht das Unsagbare, sondern das Unaussprechliche – ein, um es mit Bourdieu zu sagen, feiner Unterschied. Unsagbar, so Jankélévitch, sei nur die schwarze Nacht des Todes (dessen unfassbares Wesen ihn so sehr faszinierte, dass er auch darüber ein fulminantes, markerschütternd-kluges Werk verfasste), «weil sie undurchdringliches Dunkel und trostloses Nichtsein» sei; das Unaussprechliche hingegen sei nicht auszudrücken, «weil es hierüber unermesslich, endlos viel zu sagen» gebe, und weil es durch seine anregenden und inspirierenden Eigenschaften wie eine Faszination wirke. Den damit zusammenhängenden Unterschied zwischen dem Wort und der Musik habe schon der Dichter Heinrich Heine erkannt: Wo es nämlich an Worten fehle, beginne die ...
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Opernwelt Jahrbuch 2022
Rubrik: Bilanz des Jahres, Seite 74
von Olga Myschkina
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