Love’s Old Sweet Song

Über die Musikalität von James Joyces Jahrhundertroman «Ulysses»

Schon der Anfang: die reine Musik. Musik als Theater, Theatermusik. Dazu ein Schauspiel von erhabener Größe, unvergleichlich grandios übersetzt von Hans Wollschläger, man lässt sich diese Sätze immer wieder gerne auf der Zunge zergehen: «Stattlich und feist erschien Buck Mulligan am Treppenaustritt, ein Seifenbecken in Händen, auf dem gekreuzt ein Spiegel und ein Rasiermesser lagen. Ein gelber Schlafrock mit offenem Gürtel bauschte sich leicht hinter ihm in der milden Morgenluft. Er hielt das Becken in die Höhe und intonierte: – Introibo ad altare Dei.

» 

Das sitzt. Das klingt. Das federt. Und hat einen Hauptdarsteller, der vieles ist: Komödiant, Tragöde, Pantomime, ausgestattet mit der hohen (und seltenen) Gabe, alles und jeden imitieren, durch den Kakao ziehen zu können, kurzum: ein raconteur vor dem Herrn, zudem ein Verwandlungskünstler von hohen Gnaden, der es sich nicht nehmen lässt, die christliche Transsubstantiation zu parodieren, das Mysterium der Messe, die Verwandlung des Brotes in den Leib Christi. Das alles zelebriert Buck Mulligan, jener derb-kluge, zynische Studiosus der Medizin, mit jenem lustvoll gespielten Ernst, der uns glauben macht, wir befänden uns in einem ...

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Opernwelt Jahrbuch 2022
Rubrik: James Joyce Ulysses, Seite 112
von Jan Verheyen

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