Zuletzt Hoffnung

Dietrich W. Hilsdorf inszeniert Luigi Nonos legendäre Azione scenica unter dem Titel «Intolleranza 2021» in Wuppertal als Plädoyer für mehr Menschlichkeit, Johannes Harneit lotet die klanglichen Grenzen der Partitur elaboriert aus

Opernwelt - Logo

Fangen wir ganz weit vorne an. Bei Orpheus, dem Ur-Sänger. Orpheus erhob seine Stimme, um die Götter zu besänftigen, er wollte seine geliebte Eurydike zurück, die im Totenreich weinte. Was er mit seiner Stimme und der Lyra vermochte, vergeigte der Sehnende allerdings durch seinen Argwohn. Weil er der Kraft der vokalen Überwältigung misstraute, schaute Orpheus sich um. Und verlor im selben Augenblick, was er kurz zuvor gewonnen hatte.

In der Sozialgeschichte der Oper ist dieses tragische Erlebnis mehrere hundert Male aufgegriffen worden.

Menschen auf der Bühne singen, weil sie in Not sind, weil sie ihren Emotionen freien Lauf lassen wollen, weil sie andere überzeugen, überreden, im besten Fall erschüttern wollen. Auch den Protagonisten in Luigi Nonos Azione scenica in due tempi «Intolleranza» geht es nicht anders. Sie singen, um ihre Qualen loszuwerden, um gegen Missstände aufzubegehren und den Weg freizuschaufeln für ein besseres Leben mit besseren Menschen. Vor allem einer tut sich darin hervor. Der «Emigrante», jener Mann, der jahrelang als Bergarbeiter in der Fremde sein spärliches Geld verdient hat und nun nur noch eines will: nach Hause, zu den Menschen, die ihn verstehen, die ...

Weiterlesen mit dem digitalen Monats-Abo

Sie sind bereits Abonnent von Opernwelt? Loggen Sie sich hier ein
  • Alle Opernwelt-Artikel online lesen
  • Zugang zur Opernwelt-App und zum ePaper
  • Lesegenuss auf allen Endgeräten
  • Zugang zum Onlinearchiv von Opernwelt

Sie können alle Vorteile des Abos
sofort nutzen

Digital-Abo testen

Opernwelt August 2021
Rubrik: Im Focus, Seite 8
von Jürgen Otten

Weitere Beiträge
This sucks balls

«Fuck! This sucks. This sucks balls. This is shit. This is fucking shit!», ruft der Bariton beziehungsweise die Figur B zu Beginn – was man halt so lernt im Opernstudio der Bayerischen Staatsoper. Denn für dieses hat Miroslav Srnka gemeinsam mit dem Librettisten Tom Holloway eine Oper entwickelt, die bereits sein bereits drittes abendfüllendes Auftragswerk unter...

Routiniert

«Theater muss sein.» So euphorisch und provokant (weil Theater eben Geld kostet) hat es der Deutsche Bühnenverein Ende der 1990er-Jahre propagiert, mit dem neckisch auf einem Punkt tänzelnden T. Die Aussage wurde seither immer wieder diskutiert ‒ besonders verzweifelt während der Pandemie, in der das Theater als Ort gesellschaftlicher Diskurse über Nacht seine...

Was kommt... August 2021

Stimmgewaltig
Dass ihr Sopran Mauern zu sprengen imstande ist, wusste man spätestens seit ihrer Médée in Wexford 2017. Dass Beethovens Leonore, Verdis Heroinen und die schweren Wagner-Partien eine dominierende  Rolle spielen würden, eigentlich auch. Doch Lise Davidsen, die bei den Bayreuther Festspielen die «Walküren»-Sieglinde singen wird, kann noch viel mehr. Ein...