Die höchsten der Gefühle
Geliebt wird man nur, wenn man Schwäche zeigen darf. Nicolai Gedda zeigte Schwäche bei einem Liederabend in der Hamburger Oper, den er im Herbst seiner Karriere gab. Im Herbst? Es war am 19. Januar 1998, er war 72 Jahre alt. Am Ende des ersten Teils mit Liedern von Richard Strauss hatte er gegen einen «Frosch im Hals» kämpfen müssen. Nach der Pause, nun mit Liedern von Antonín Dvořak, wurde die Stimme wieder frei, bei den Zugaben fast wieder jung.
Nach dem Konzert gingen wir in eine Kneipe, um Nürnberger Rostbratwürstchen zu essen, wie wir es früher getan hatten, als ich für die Electrola tätig war – und ihren damaligen Star-Tenor.
«War’s sehr schlimm?», fragte er, noch immer betrübt, weil er unter Form begonnen hatte. Ich wiederholte den anfangs zitierten Satz und sagte ihm, wie liebevoll der Beifall gewesen war – und ganz anders als bei den damals populären Zirkus-Polkas der «Drei Tenöre». Ein melancholisches Lächeln zog über sein Gesicht. «Das bin ich nicht», sagte er und fügte, ganz ohne ein unterdrücktes «leider», hinzu: «Ich hätte mich komisch oder unbehaglich gefühlt, wenn ich in eine Arena gegangen wäre, um ‹O sole mio› zu singen.» Gedda wusste, dass seine Stimme nicht, ...
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Opernwelt April 2017
Rubrik: Magazin, Seite 76
von Jürgen Kesting
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«Der Wind wütete, hoch schwollen die Wogen, schwer wog die Luft von Dunkelheit. Der Ozean verfinsterte sich und der Regen peitschte in Stößen herab.» So beschrieb der Mediävist Joseph Bédier in seiner 1900 erschienenen Nacherzählung des Tristan-Stoffs das Meer. Derart wild geht es an der Cardiff Bay am Abend der Premiere von Frank Martins «Le Vin herbé» zwar nicht...