Kammerspiel und Broadway Show
Als rätselhafter Solitär steht Bizets «Carmen» in der Operngeschichte, irgendwo zwischen Wagner und der Italianità des ausgehenden Belcanto und aufkommenden Verismo. Der Komponist, auch mit seiner jugendlichen C-Dur-Sinfonie (einer verfrühten «Symphonie classique») ein aus der Zeit Gefallener, ließ sich nicht wie seine Landsmänner Chausson und (zeitweilig) Debussy von der Bayreuther Magie verführen.
Er kreuzte vielmehr ein hoch pathetisches, erzromantisches amour fou-Sujet mit Ingredienzen der Opéra-comique – und entsprach damit auch der Gelegenheit, sein Werk 1875 an dem für dieses Genre bestimmten Pariser Haus (und nicht an der Grand Opéra) uraufführen zu können. Freilich fiel er damit sogleich halbwegs auf die Nase, musste mitansehen (er starb darüber), dass seine «Carmen» von Ernest Guiraud mit hinzukomponierten Rezitativen «verbessert» wurde. War das Etikett Opéra-comique bloß ein Missverständnis? Ein Jahrhundert des (auch den Guiraud-Rezitativen zu verdankenden) Welterfolgs nährte diese Auffassung. Doch seit Walter Felsenstein hat sich allmählich die philologische Bemühung um eine «authentische» Version durchgesetzt. Dass schon Felsenstein mit seiner Marschstiefelästhetik ...
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Opernwelt Juli 2016
Rubrik: Im Focus, Seite 6
von Hans-Klaus Jungheinrich
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