Wunschkonzert

Darmstadt: Beethoven: Fidelio

Die Inszenierungen von John Dew waren einst ebenso berühmt wie umstritten für ihre aktualisierenden Konzeptionen. Doch basierten sie nie auf platter Gleichsetzung, machten vielmehr Gegenwart auf Historie oder Mythos hin transparent: Sie zielten auf Vergegenwärtigung im umfassenden Wortsinne. In seiner aktuellen «Fidelio»-Produktion ist davon nur noch ein anachronistisches Aperçu übrig geblieben: Das eröffnende Duett zeigt Marzelline und Jaquino als Angestellte der Gefängnisbürokratie.

Sie weist seine Avancen zurück, indem sie sich angelegentlich in die Akten vertieft – papierene Akten, wohlgemerkt, und auch die wuchtigen Schreibmöbel und die schwarzen Bakelit-Telefone verweisen auf die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts. Später, bei Pizarros Arie, erscheint ein bühnenhohes Regal mit Tausenden von Leitz-Ordnern, auch die Wachmannschaft hat sich in einen Chor von Beamten verwandelt. Dass aber in diesem Ambiente alle Personen Kostüme der Empire-Zeit tragen, wirkt willkürlich: Die Zeitebenen durchdringen sich nicht, sie stehen wie Öl und Wasser nebeneinander.

Ansonsten herrscht inszenatorisches Minimum: eine schwarze, leere Bühne, nur das Nötigste an Mobiliar und Requisiten, doch auch an ...

Weiterlesen mit dem digitalen Monats-Abo

Sie sind bereits Abonnent von Opernwelt? Loggen Sie sich hier ein
  • Alle Opernwelt-Artikel online lesen
  • Zugang zur Opernwelt-App und zum ePaper
  • Lesegenuss auf allen Endgeräten
  • Zugang zum Onlinearchiv von Opernwelt

Sie können alle Vorteile des Abos
sofort nutzen

Digital-Abo testen

Opernwelt November 2010
Rubrik: Panorama, Seite 48
von Ingo Dorfmüller

Vergriffen
Weitere Beiträge
Tanz mit dem Tod

Dass der Tod ein Wiener ist, wissen wir spätestens seit Georg Kreisler. Aber eine wienerische Italienerin? Regisseur Tobias Kratzer vollbringt diesen Spagat, indem er die Intrigantin Annina als weiblichen Tod auftreten lässt, und macht gleichzeitig ihren Partner Valzacchi zu einer allegorischen Verkörperung der Zeit – zwei Figuren aus dem Umkreis des...

Die Ratten vor den Ratten

Das Festival Junger Künstler war schon immer für Überraschungen gut. Im Europasaal des «Zentrums», wo 1982 die szenische Uraufführung von Mozarts Azione teatrale «Il sogno di Scipione» stattfand, wurde tatsächlich ein Stück von Richard Wagner aus der Taufe gehoben. Kein Wunder allerdings, dass die Posse «Eine Kapitulation» bislang nie gespielt wurde. Sie gehört...

Von Teheran nach San Francisco

Deutschen Opernfreunden sagt der Name Lotfi Mansouri möglicherweise wenig. Zwar begann er seine Laufbahn als Regisseur im deutschsprachigen Raum und hat in den sechziger und siebziger Jahren auch in Dortmund, Freiburg, Heidelberg, Kassel und Nürnberg inszeniert, doch zu Macht und Ansehen gelangte er erst in Amerika, zunächst als Generaldirektor der Canadian Opera...