Wir arme Leut!
Schon in der ersten Szene fällt das Stichwort, das wie ein Leitmotiv immer wiederkehren soll: «Wir arme Leut!» Auch für Paul-Georg Dittrichs neue «Wozzeck»-Inszenierung (in Bremen die erste nach 45 Jahren) ist die Unvereinbarkeit von existenzieller Armut und Tugend das Thema, das es auf zeitlose Gültigkeit hin zu überprüfen gilt. Deshalb legt sich die Bühnenausstattung historisch nicht fest: Pia Dederichs und Lena Schmid haben auf einer drehbaren Rundplattform ein Stahlrohrgerüst mit mehreren Etagen konstruiert.
Es bietet eine ganze Anzahl von Spielorten, die nicht durch Wände abgeschirmt, sondern von allen Seiten einsehbar sind. Eine Art Versuchsanordnung, innerhalb derer das Geschehen auf seine Essenz reduziert wird. Auch ein Panoptikum: Am Anfang sind die Figuren, zum Teil in grotesken Kostümen, aufgereiht wie auf einem Jahrmarktskarussel. Dann spielt sich – geschieht das alles nur in Wozzecks Kopf? – ein regelrechtes Welttheater im Kampf um Geld und Liebe ab: jeder gegen jeden. Am Ende stehen alle wieder da wie zu Beginn; das Karussell dreht sich, als sei nichts geschehen. «Wir arme Leut!»: Der Satz ist aktuell wie eh und je.
Eine bittere, ja depressive Inszenierung, die sich ...
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Opernwelt April 2016
Rubrik: Panorama, Seite 34
von Gerhart Asche
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