Vogelflug
Prinz Harrys Enthüllungen der Sauereien im englischen Königshaus wirken fast wie das Greinen eines beleidigten Kindes im Vergleich zu dem Anblick, der sich uns am Beginn der Ouvertüre von Donizettis «Roberto Devereux» bietet. Auf der Bühne liegt die enthauptete Anne Boleyn in einer Blutlache, ihr Henker steht noch mit gezücktem Degen vor der Leiche; im Hintergrund die kleine Elisabeth. In dieser stummen Szene zu der vom Komponisten zitierten Musik der Hymne des Königreichs liegt schon der ganze Aberwitz, in den dieses Melodram führen wird.
Die Geschichte trägt tatsächlich das Gepräge des Irren: Die alternde Königin Elisabeth ist immer noch in ihren einstigen Geliebten, den titelgebenden Earl of Essex vernarrt. Es folgt eine romanhaft verzwickte Handlung um Hochverrat, (scheinbare) eheliche Untreue, eine parlamentarische Intrige sowie ein Missverständnis um einen bestickten Schal – ein Corpus Delicti wie das Taschentuch in Verdis «Otello». Die Königin rast in Eifersucht und unterschreibt Robertos Todesurteil – nicht jedoch aus Gründen der Staatsräson wie ihr Vater, sondern aufgrund emotionaler Verranntheit. Entgegen der geschichtlichen Wahrheit folgen die Abdankung und die Reise in ...
Weiterlesen mit dem digitalen Monats-Abo
Sie sind bereits Abonnent von Opernwelt? Loggen Sie sich hier ein

- Alle Opernwelt-Artikel online lesen
- Zugang zur Opernwelt-App und zum ePaper
- Lesegenuss auf allen Endgeräten
- Zugang zum Onlinearchiv von Opernwelt
Sie können alle Vorteile des Abos
sofort nutzen

Opernwelt April 2023
Rubrik: Panorama, Seite 40
von Bernd Künzig
Es ist leicht, «Faust» zu sagen – aber weit schwerer, sich für eine bestimmte Version dieser Stoffes zu entscheiden. Ferruccio Busonis «Doktor Faust» beispielsweise vereint viele Charakterzüge des traurigen Titelhelden: Während aber Goethes Faust ein zu erhabenes Modell war, finden sich in Busonis Werk deutliche Spuren von Christopher Marlowes elisabethanischer...
Kein Anschluss mehr unter dieser Nummer. Ins Leere geht Charlottes Griff nach dem Telefon, das an langer Schnur herunterbaumelt. Werther stirbt, mezza voce gesungen von Lucian Krasznec oder schon fast tonlos; Sophie Rennert schmiegt sich ihm in sanften Farben an. Am Münchner Gärtnerplatztheater ist Jules Massenets «Werther» in doppeltem Sinne ein «Drame lyrique»,...
Nishni Nowgorod liegt am Zusammenfluss von Oka und Wolga. Im 19. Jahrhundert nannte man sie sogar «die dritte Hauptstadt Russlands». Vor kurzem feierte die Millionenmetropole ihr 800-jähriges Jubiläum, und aus diesem Anlass wurde vieles restauriert. Weniger freundlich behandelte man seitens der politischen Elite bislang die Oper. Nun jedoch hat der neue...