Visconti lässt grüßen
Mit ihren knapp zwei Stunden Musik scheint sich die Oper «Senso» eher am Format eines Liebesfilms zu orientieren als an dem einer festlichen Grand Opera, wie man sie anlässlich der Feierlichkeiten zum 150-jährigen Jubiläum der italienischen Einheit erwarten würde. Episch ist sie also nicht, zumal die Handlung auf Camillo Boitos 1883 veröffentlichtem gleichnamigen Kurzroman beruht.
Die Nähe zum Film freilich ist offenkundig: Komponist Marco Tutino und sein Librettist Giuseppe di Leva konnten der Versuchung nicht widerstehen, sich an Luchino Viscontis meisterhaftem Opus von 1954 zu orientieren. Im Grunde verschmilzt die Oper Romanvorlage und Film zu einer Art Palimpsest, in dem patriotische Gefühlsregungen italienischen Schankmädchen vorbehalten sind – und Roberto Donà, einem naiven jungen Adelsspross. Derweil legt der alte Graf Serpieri standesgemäßen Opportunismus an den Tag und arrangiert sich mit Veränderungen, denen er ohnehin nicht entkommen kann.
Jenseits von Viscontis Bearbeitung des hochdramatischen Loyalitätssujets (dem zentralen Konflikt der meisten Seria-Handlungen) folgt die Oper Boitos zynischem Blickwinkel, der sich auf die sexuellen Gelüste der Gräfin Livia Serpieri ...
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