Vielfachsprünge

Das spektakuläre Debüt-Album des venezolanischen Sopranisten Samuel Mariño vereint Raritäten von Händel und Gluck

Hört man das Recital von Samuel Mariño, dem jungen Sopranisten aus Venezuela, mag einem der Eiskunstlauf in den Sinn kommen: die glitzernde Showfläche, die geschliffenen Kufen, die von den Schlittschuhen virtuos in Eis gezeichneten präzisen Kurven und Schnörkel. Apropos: Der Russe Ilja Klimkin war 1999 der Erste seiner Zunft, der zwei Vierfach-Sprünge hintereinander zeigte, einen Salchow und einen Toeloop.

Mariño darf mit Fug als Klimkins Bruder auf dem Sangesfeld gelten, denn er setzt dessen Tat quasi in Noten um – mit überschäumender Vitalität, stupender Virtuosität und für’s Extreme geeichter Technik. Dass dabei einige Stratosphärentöne und -phrasen ein wenig scharf geraten, passt ebenfalls ins Bild.

 

Zugleich lässt Mariños Kunstfertigkeit auch an Jürgen Kestings Bemerkung über einen anderen Hochtonakrobaten aus Südamerika, den Peruaner Juan Diego Flórez, denken: Dessen Stimme gleite auf Flügelschuhen dahin gleich jenen, mit denen Fred Astaire in «Königliche Hochzeit» die Decke eines Zimmers als Tanzfläche nutzte. Mariño, Jahrgang 1993, ist 20 Jahre jünger als Flórez und wohnt quasi eineinhalb Etagen über dem Tenore di grazia. Er hat eigentlich nie mutiert, sondern vermochte ...

Weiterlesen mit dem digitalen Monats-Abo

Sie sind bereits Abonnent von Opernwelt? Loggen Sie sich hier ein
  • Alle Opernwelt-Artikel online lesen
  • Zugang zur Opernwelt-App und zum ePaper
  • Lesegenuss auf allen Endgeräten
  • Zugang zum Onlinearchiv von Opernwelt

Sie können alle Vorteile des Abos
sofort nutzen

Digital-Abo testen

Opernwelt Juli 2020
Rubrik: Hören, Sehen, Lesen, Seite 32
von Gerhard Persché

Weitere Beiträge
Editorial Juli 2020

Der Satz ist Legende. Vielfach zitiert, je nach Kontext in dieser oder jener Weise gedeutet, von Dialektikern aufgrund seiner Wandelbarkeit hochgeschätzt. Und vielleicht hatte sein Autor genau dergleichen im Sinn, als er im 15. seiner Briefe «Über die ästhetische Erziehung des Menschen» diese kunstvolle Formulierung zu Papier brachte: «Der Mensch spielt nur, wo er...

Die große Simulation

Natürlich hat Goethes Theaterdirektor recht: «Die Masse könnt ihr nur durch Masse zwingen. Ein jeder sucht sich endlich selbst was aus. Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen, und jeder geht zufrieden aus dem Haus.» In diesen unerfreulichen Zeiten hätte man freilich auch Lust, der Hochsprache des Dichterfürsten den phonetischen Kiezjargon Bora Dagtekins...

Der Zukunft zugewandt

Den Stein ins Rollen brachten ein Diplom-Ingenieur und ein Anglistik-Professor. Man könnte auch sagen: deren aufgeklärte Begeisterung für das Werk Richard Wagners. Als Heinz Weyringer 1995 mit Walter Bernhart in Graz das «Wagner Forum» gründete, ahnte niemand, dass aus diesem Verein, der als liberal-weltoffene Alternative zu der gegen die Erneuerung der Bayreuther...