Satan und die edle Anmut
Es dürfte eine der reizvollsten Opern-Trouvaillen der letzten Zeit sein, die dem Lübecker Theater da gelungen ist: «Grisélidis», Jules Massenets «Conte lyrique» von 1901, bisher noch nie auf einer deutschen Bühne zu sehen. Die anrührende, mit zu Herzen gehendem Sentiment gezeichnete Leidensgeschichte einer «Femme fragile», deren «Fragilité» sich durchsetzt gegen alle böswillig-brutalen Anfeindungen.
Man kennt die Gestalt der tugendreichen Griseldis (französisch: Grisélidis) aus den Erzählungen von Boccaccio, Petrarca und Perrault, dazu aus mehreren Barockopern unter anderem von Scarlatti und Vivaldi, und man weiß aus der Legende, dass die Titelheldin von ihrem misstrauischen, an ihrer Treue zweifelnden Gatten einer Reihe von grausamen Prüfungen unterzogen wird, die sie siegreich durchsteht.
Bei Massenet nun ist es nicht der Marquis de Saluces selbst, der sich die schlimmen Malicen gegen seine herzensgute Frau ausdenkt. Die Librettisten Armand Silvestre und Eugène Moran bemühen dazu den Satan selbst, der – wie im mittelalterlichen Mysterienspiel – höchstpersönlich die entscheidende Rolle als Verführer spielt und damit den Ehemann, der unverbrüchlich weiter an die Treue seiner ...
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