Rühren oder Berühren?

Neue Schubert-Recitals mit Thomas Bauer und Jost van Immerseel, Michael Schade und Rudolf Buchbinder, Matthias Goerne und Alexander Schmalcz

Opernwelt - Logo

Darf man als Interpret von Schuberts Wilhelm-Müller-Zyklen mit dem Müllersburschen oder dem Winterreisenden leiden? Matthias Goerne verwies in einem Interview im Zusammenhang mit Dietrich Fischer-Dieskau auf die «Angst vor der Instrumentalisierung der Gefühle» in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts. Manche verkehrten dies heute freilich ins Gegenteil, wobei «ein zarter Komponist wie Schubert schnell bieder und trivial» werde bei einem Übermaß falscher Emotionen.

Und Christan Gerhaher bemerkte in diesem Zusammenhang, es gebe einen notwendigen Unterschied zwischen dem Rühren und dem Berühren. Das Erstere sei undifferenziert sentimental, das Zweite bewusst gesetzte Emotion.

Der Bariton Thomas Bauer berührt, auch wenn er sich durchaus mit dem Winterreisenden zu identifizieren scheint – dies jedoch in einem ganz speziellen Kontext. Im Booklet seiner bei Zig-Zag erschienenen Aufnahme rekurriert er auf die Figur des Dichters Wilhelm Müller, auf dessen Teilnahme an den Befreiungskriegen gegen Napoleon ab 1813. Müller war während dieser Kriege in Brüssel stationiert und hatte dort ein Verhältnis mit einer vermutlich verheirateten Frau – was für ihn als Besatzer nicht gestattet war. ...

Weiterlesen mit dem digitalen Monats-Abo

Sie sind bereits Abonnent von Opernwelt? Loggen Sie sich hier ein
  • Alle Opernwelt-Artikel online lesen
  • Zugang zur Opernwelt-App und zum ePaper
  • Lesegenuss auf allen Endgeräten
  • Zugang zum Onlinearchiv von Opernwelt

Sie können alle Vorteile des Abos
sofort nutzen

Digital-Abo testen

Opernwelt April 2011
Rubrik: Medien/CDs, Seite 25
von Gerhard Persché

Weitere Beiträge
Im Heute verloren


Tschaikowskys «Eugen Onegin» verlangt eine genaue Kenntnis der sozialen, psychologischen, gesellschaftlichen und politischen Lebensbedingungen der Menschen um die Mitte des 19. Jahrhunderts in Russland. Verloren in den Weiten eines unendlichen Landes, Rückständigkeit bei der anderswo rasch sich entwickelnden Industrialisierung, Sehnsucht nach einer fernen Welt...

Neunmalklug

Angeblich liegt Jules Massenets Oper «Hérodiade» Gustave Flauberts gleichnamige Erzählung zugrunde. Flaubert freilich hält sich in diesem Spätwerk genau an den biblischen Befund, wie ihn auch Strauss’ «Salome» in etwa wiedergibt. Diese kurze Geschichte (bei Strauss reicht sie ja auch nur für einen Einakter) schien für eine Grand Opéra ein bisschen dürftig, und so...

Italianità brasilianisch

Sambafieber erwartet man in einer brasilianischen Oper des späten 19. Jahrhunderts vergebens. Mestizische Leidenschaften werden ein gutes halbes Jahrhundert später in Epen, Romanen und Gedichten von Rosa, Amado oder Andrade beschworen, ein wenig früher bereits in der immensen Musikproduktion von Heitor Villa-Lobos. Kunstmusikalisch orientiert sich der riesige...