Routiniert
«Theater muss sein.» So euphorisch und provokant (weil Theater eben Geld kostet) hat es der Deutsche Bühnenverein Ende der 1990er-Jahre propagiert, mit dem neckisch auf einem Punkt tänzelnden T. Die Aussage wurde seither immer wieder diskutiert ‒ besonders verzweifelt während der Pandemie, in der das Theater als Ort gesellschaftlicher Diskurse über Nacht seine Arbeit einstellte.
Und wenn jetzt Roland Schwab in seiner Essener «Pagliacci»-Inszenierung dem Canio ein Schild mit dem besagten Spruch wie einem Delinquenten um den Hals hängt, dann könnte das heißen, dass Theater eben auch eine Bürde sein kann, wenn die Politik seine Relevanz nicht mehr anerkennt und die Gesellschaft die Spieler alleinlässt.
Mag sein, dass diese Perspektive das Stück von Ruggero Leoncavallo allzu sehr überfrachtet hätte ‒ jedenfalls hält sich Schwab eher an Leoncavallos Programm, das Canios Widersacher Tonio im Prolog verkündet: Theater muss sein, weil es so aufwühlend realistisch sein kann. Dumm nur, dass manche Menschen das Theater zur Lösung der eigenen Probleme missbrauchen, weil nur das Bühnenleben ihnen die Kraft dazu verleiht.
So einer ist der Bajazzo Canio, den Sergey Polyakov in Essen mit ...
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Opernwelt August 2021
Rubrik: Panorama, Seite 39
von Michael Struck-Schloen
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