Radikal individuell
Die Zeit, versprach einst Gilbert Bécaud, nehme alle Probleme fort und löse sie auf.
Doch welche Zeit meinte er eigentlich? Die auf der Uhr ablesbare objektive? Oder die subjektive, die sich nicht nach Stunden und Tagen bemessen lässt? Das Berliner Festival Maerzmusik, wo man für gewöhnlich Originalität mit Aktualität verwechselt und noch immer an eine Neue Musik im emphatischen Sinne glaubt – was zur Folge hat, dass bei diesem Festival die größten zeitgenössischen Komponisten grundsätzlich ignoriert werden – ausgerechnet Maerzmusik drang jetzt einmal zu Wesentlichem vor: Das «Festival für Zeitfragen» widmete sich der Frage nach der Zeit.
Konferenzen und Lesegruppen thematisierten die seit einigen Jahrtausenden herrschende lineare Zeit, die eine Metaphysik der Präsenz heraufgeführt hat, der wir Christentum und Kapitalismus verdanken, Aufklärung und Wissenschaft und nicht zuletzt die moderne Kunst. Gerade der auf den Paradigmen Fortschritt, Novität, Befreiung beharrende Avantgardismus ist ohne das teleologisch normierte Zeitverständnis undenkbar. Die unter dem Desiderat Decolonizing Time geführten Diskurse mündeten daher etwas überraschend, aber unweigerlich in den Ruf nach einer ...
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Opernwelt Mai 2017
Rubrik: Magazin, Seite 83
von Volker Tarnow
Seit der «Walküre» vor einem Jahr hat sich die Szenerie des Kieler «Rings» grundlegend verändert. Mit der Verpflichtung einer neuen Bühnenbildnerin, der japanischen Installations- und Performancekünstlerin Chiharu Shiota, scheint der regieführende Intendant Daniel Karasek auch sein Konzept noch einmal überdacht zu haben: Der technologiekritische Ansatz, der sich...
Neun Meter, das ist viel. Zu viel. Man bräuchte den Hals einer Giraffe, um ganz bis nach oben zu gelangen, und selbst dann wäre es noch schwierig, den Gipfel dieser Vitrine zu erklimmen, über 90 Bibelbilder hinweg. So also bleibt in der gotischen Kreuzkirche der beeindruckte Blick hinauf zur Spitze des berühmten Zittauer Fastentuches, vollendet anno Domini 1472...
Manchmal, meist unerwartet, passiert das. Die Welt hält inne. Hört nur noch nach innen, lauscht dem feinen Wispern der Seelen, das der Lärm draußen für gewöhnlich übertönt. Das fis-Moll-Duett «Io t’abbraccio» könnte ein solcher Moment sein. Kaum ein Stück Händels ist derart zerbrechlich wie dieses «Larghetto». So berührend schön in seinem Schmerz. Zwei Liebende...