Nummernrevue
Es sieht ganz so aus, als ob Unsuk Chins «Alice» zu den wenigen zeitgenössischen Opern gehört, denen nach der ersten Aufführungsserie ein Weiterleben vergönnt ist: Drei Jahre nach der Uraufführung an der bayerischen Staatsoper wagt sich jetzt Genfs Grand Théâtre an das Stück, 2011 will Bielefeld folgen. Verdient hat «Alice» das allemal: In seiner spielerischen Doppelbödigkeit passt der Lewis-Carroll-Stoff ideal zu Chins Musik, die unter ihrer feingewobenen, luxurierenden Oberfläche ebenfalls eine verstörende Tiefenschicht verbirgt.
Etwas Unnennbares, das in fragenden Kantilenen Alices für Augenblicke ganz direkt spürbar wird, aber meist subkutan wirkt. Es ist bei aller Quirligkeit eben nicht bloß ulkig, was in Wonderland so vor sich geht. Weit mehr ist «Alice» ein Stück über das Gefühl der Fremdheit gegenüber anderen sowie sich selbst. Vom hektischen weißen Kaninchen über die laszive Duchess bis zur aufgeblasenen Herzkönigin haben fast alle Figuren in ihrer Maskenhaftigkeit auch einen unheimlichen Zug – bis zu den rätselhaften Veränderungen, die die pubertierende Alice am eigenen Körper spürt: Sie sind bei Chin (viel mehr noch als bei Carroll) Chiffre einer ganz grundsätzlichen ...
Weiterlesen mit dem digitalen Monats-Abo
Sie sind bereits Abonnent von Opernwelt? Loggen Sie sich hier ein

- Alle Opernwelt-Artikel online lesen
- Zugang zur Opernwelt-App und zum ePaper
- Lesegenuss auf allen Endgeräten
- Zugang zum Onlinearchiv von Opernwelt
Sie können alle Vorteile des Abos
sofort nutzen
Als Zemlinsky zu Beginn seines amerikanischen Exils im Januar 1939 von einem Reporter der «New York Times» auf seine neueste Oper angesprochen wurde, antwortete er zögerlich: «It is ultra modern». Das 1935 bis 1938 im Particell entworfene, aber nur zu Teilen instrumentierte Werk – es hätte sein opus summum werden sollen – blieb unvollendet. Anthony Beaumont hat die...
C-Dur gilt als die Neutrale zwischen den Tonartenkreisen, als jene Skala, die keine bestimmte emotionelle Haltung einnimmt, sondern eher äußerlichen Glanz verkündet. Bei Mozart wirkt sie oft auch wie die Decke, die beschönigend über häusliche Unordnung geworfen wird, wenn Besuch kommt. Etwa im Finale von «Così fan tutte», da die verstörten Paare sich mühen, den...
Folklore in der «Verkauften Braut»: Ja oder nein? Und wenn ja, wie viel? Und dann ist da noch die Frage nach dem Umgang mit der Komödie an sich: Smetanas Oper von 1866 stellt Regisseure offenbar vor immer größere Probleme. Im Rhein-Main-Gebiet hat zuletzt Georg Köhl in Wiesbaden eine hintergründige Emanzipationsgeschichte der Marie herausgefiltert; Stein Winge...