Wagemutig
Charlotte und Werther verheiratet? Eltern eines ansehnlichen Sohnes? Ergraute Ruheständler, die unter dem Weihnachtsbaum Goldene Hochzeit feiern? Von Anfang an sehen wir den Helden in einem abgewetzten Sessel sitzen, in großen Zügen harte Sachen trinken und mit einem Behältnis spielen, das jene fatalen Pistolen enthält, die er sich Ende des dritten Akts von Albert ausleihen wird. Wir haben es fraglos mit einer «provokanten» Inszenierung zu tun.
Rosetta Cucchi, bislang vor allem mit auf exzessive Gewalt fixierten Regiekonzepten aufgefallen, legte die action diesmal zweispurig an, in einer Art Nürnberger Puppenstuben-Ambiente: Die im Libretto geschilderten Ereignisse leben nur noch in Werthers Erinnerung, seine Gegenwart bildet die längst angebrochene Zukunft, nach der er sich damals, so Cucchis Hypothese, angeblich sehnte: nicht nach romantischer Ekstase, sondern nach dem bürgerlichen Ehestand. Doch das geordnete Glück scheiterte, weil Charlotte der toten Mutter verfallen war, in blindem Gehorsam. Durch fast alle Szenen spukt ihr Porträt. Die Handlung spult in Rückblenden ab, Doppelgänger «spielen» die erinnerten und imaginierten Figuren – bis der Film plötzlich ...
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