Kontrollierte Emotion

Braunschweig, Boesmans: Julie

Opernwelt - Logo

Johannisnacht – mit dem nervösen Herzschlag der Pauken und unortbarem Summen zeichnet Philippe Boesmans in seiner Kammeroper «Julie» die subtile Spannung dieser Nacht der Lizenzen und der Triebe. Es darf geträumt werden, und Boesmans gönnt der Köchin Christine unterm Holderbaum ein melodisch fortziehendes Sehnsuchtsmotiv, das noch wiederholt durch die Instrumente des solistisch besetzten Kammerorches­ters wandern wird.
Denn noch andere träumen in dieser Nacht. Fräulein Julie zieht es die Küchentreppe abwärts ans höllische Herdfeuer.

Hier sucht sie den ihrem Begehren entsprechenden Widerpart, der stark genug wäre, mit ihr zu fliehen. Doch ihre Blütenträume eines Lebens außerhalb der Standesgesellschaft werden jäh zerstört. Diener Jean bleibt auch nach dem Sex ein kühler Rechner. Für seinen Traum vom eigenen Hotel bräuchte es mehr Geld, als Julie aufbringen kann.
Boesmans Opernfassung des Strindberg-Stücks legt besonders auf die psychologischen Hintergründe wert. Nach unten glissierende Bewegungen der Streicher, ner­vöse Zupfer und Bläsertupfer auswärts des zuweilen anklingenden Melos zeugen von Beunruhigung. Hier ist nicht nur das Standesgefüge im Rutschen, hier befindet sich auch ...

Weiterlesen mit dem digitalen Monats-Abo

Sie sind bereits Abonnent von Opernwelt? Loggen Sie sich hier ein
  • Alle Opernwelt-Artikel online lesen
  • Zugang zur Opernwelt-App und zum ePaper
  • Lesegenuss auf allen Endgeräten
  • Zugang zum Onlinearchiv von Opernwelt

Sie können alle Vorteile des Abos
sofort nutzen

Digital-Abo testen

Opernwelt März 2006
Rubrik: Panorama, Seite 46
von Andreas Berger

Vergriffen
Weitere Beiträge
Wenn Apollo predigt

Glucks «Alceste», mit der Mozart, Cherubini, Berlioz und Wagner sich komponierend auseinander gesetzt haben, ge­hört zu den hochgerühmten, aber selten gespielten Schlüsselwerken der Operngeschichte. Gluck hat das im Stoff wie in der Anlage auf Euripides zurückgehende kultische Drama ursprünglich auf einen Text Calzabigis 1767 für Wien geschrieben und das Werk 1776...

Liebe macht blind

Tito liebt Berenice, muss aber aus Gründen der Staatsräson auf sie verzichten. Sesto, Titos engster Freund, ist Vitellia hörig. Für diese aber, die Tochter des gestürzten Imperators Vitellius, ist Liebe eine kalte Zweckbeziehung – sie möchte auf den Thron, einerlei ob durch die Heirat mit Tito oder einen erfolgreichen Umsturzversuch Ses­tos. Die Rede ist von...

Kalkulierte Proportionen

Herr Dusapin, für Ihr «Faustus»-Libretto haben Sie aus vielen literarischen und anderen Quellen geschöpft. Der wichtigste Pate Ihrer Textcollage ist aber der englische Shakespeare-Zeitgenosse Chris­topher Marlowe. Wie kam es zu dieser Wahl?
Ich wollte Anfang der neunziger Jahre eigentlich über einen Text von Gertrude Stein arbeiten: «Doctor Faustus Lights the...