Intensitäten
Francis Poulencs vierzigminütiger Monolog «La voix humaine» ist eine Tour de force für eine Sopranistin. Auf der Szene dieser 1959 an der Pariser Opéra-Comique uraufgeführten dritten und letzten Oper des großen französischen Lyrikers steht nur eine einzige Person, eine namenlose, «Elle» («Sie») genannte junge Frau. Ihr Geliebter hat sie verlassen. In einem beklemmenden, oft unterbrochenen Telefongespräch unternimmt sie einen letzten, verzweifelten, von vornherein vergeblichen Versuch, ihn zur Rückkehr zu bewegen.
Wir hören in diesem Dialog mit dem abwesenden Partner allein ihre eigene Stimme; seine Äußerungen und sein Verhalten können wir nur an ihren Reaktionen ablesen. Am Ende bricht der Mann die Verbindung ab, und die Verschmähte lässt den Hörer fallen.
Poulenc hat Jean Cocteaus in der Alltagssprache verfassten Text mit höchster Sensibilität in seiner Musik nachgezeichnet. Er erfasst die psychische Labilität dieser zwischen Angst und Hoffnung, Euphorie und Selbstmord schwankenden Frau mit psychologischer Genauigkeit. Immer wieder bricht die mit Pausen, Fermaten und Rubati durchsetzte Musik ab, und doch ist das fragmentarische Geflecht der Partitur das Gegenteil einer ...
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Opernwelt April 2023
Rubrik: CDs, DVDs und Bücher, Seite 29
von Uwe Schweikert
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