In guter Tradition
Der Teufel hol’ den deutschen Kontrapunkt!», so fluchte Richard Strauss einmal ironisch. Aber nicht bloß in der Partitur der «Meistersinger von Nürnberg» seines Vornamenskollegen regiert im Stimmengeflecht der ausdrucksvolle Widerpart. Auch szenisch versteht sich Regisseur Keith Warner darauf. «Wach auf!» schmettert der Chor etwa als Huldigung an Hans Sachs – doch für den wird die Festwiese plötzlich finster. Gramgebeugt kniet er am Familiengrab nieder.
Diese «Meistersinger» sind, grosso modo, in Bogdan Roščićs szenischer Erneuerung des Wagner-Repertoires nach «Parsifal» und «Tristan» die wohl am meisten gelungene, zugleich am wenigsten kontroverse Arbeit. Mag sein, dass der angekündigte Abschied die Zusammenarbeit zwischen Philippe Jordan und dem Staatsopernorchester entspannt hat: Schon während der Premiere und mehr noch in den Folgevorstellungen begann der Klang querbeet zu blühen, hinweg über die in der Probenarbeit offenbar mit scharfen Konturen gezogenen orchestralen Parzellen. Mag sein, dass es mithilfe des Bayreuther Schalldeckels noch ein bisschen sängerfreundlicher getönt hätte, sogar für den unerschütterlichen, in jeder Sekunde präsenten Michael Volle. Sein Sachs ist ...
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Opernwelt Februar 2023
Rubrik: Panorama, Seite 32
von Walter Weidringer
Für einen Moment glaubt man, alles hätte auch eine andere Abzweigung nehmen können, ohne Schwan, Gottfried und Gralserzählung. Immer wieder werden Kerle an die Rampe geschoben – Zwangsfreiwillige als Stellvertreter Elsas im Kampf gegen den Ankläger Telramund. Doch mit Händen und Füßen wehren sie sich erfolgreich und lenken, ein Regiekniff, dabei vom rechten...
Dass es in der Oper, dem «Kraftwerk der Gefühle» (Alexander Kluge), immer schon auch um soziale und ökonomische Verhältnisse ging, ist bekannt. Unter den fest im Repertoire verankerten Komponisten hat sich aber wohl keiner so sehr für wirklich prekäre Lebensverhältnisse interessiert wie Giacomo Puccini, auch wenn er sie – wie in «La Bohème» – gelegentlich...
Herr Wieler, in seinem neuesten Buch mit dem Titel «Vita contemplativa» beklagt der Philosoph Byung-Chul Han die Übereifrigkeit der kapitalistischen Produktionsgesellschaft. Wörtlich heißt es gleich zu Beginn seines umfangreichen Essays: «Die Untätigkeit ist eine Glanzform der menschlichen Existenz. Heute ist sie zu einer Leerform der Tätigkeit verblasst.» Ist...