Hirnkammerflimmern
Mit ihrer Ansicht über die wahren Antriebsgründe menschlicher Entscheidungen hält Maria de Alvear nicht hinterm Berg: Ist schon der Titel ihrer neuen Kammeroper «Colourful Penis» einigermaßen explizit, wird die Spanierin im Beiheft der Uraufführung bei den Dresdner Tagen für zeitgenössische Musik noch deutlicher: Die Sexualität, schreibt sie, sei der mehr oder weniger bewusste Anknüpfungspunkt zwischen der linearen Gedankenwelt und dem im Jetzt lebenden Körper – sprich: die Schaltstelle, die Empfindungen und Gefühle in Entschlüsse umwandelt.
Und um nichts anderes als solch einen Entschlussaugenblick geht es in Alvears knapp einstündiger «Opernereignisstudie»: Ein Soldat trifft im Wald auf eine Bärin und legt sein Gewehr an. Wird er das Tier erschießen? Eine Sekundenentscheidung, die Alvear virtuos von der Vertikalen auf die horizontale Zeitachse eines musikdramatischen Handlungsverlaufs spiegelt: All die Ahnungen, Erinnerungen und erotischen Assoziationen, die in Wirklichkeit gleichzeitig auf verschiedenen Bewusstseinsebenen aktiviert werden, fügt sie als Episoden locker aneinander, lässt die wunderlichen Gestalten des Unterbewusstseins mal ganz konkret, mal nur schemenhaft ...
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