Halb lebendig
Das Stück wird geliebt, seine kompositorische Finesse oft gerühmt. Aber es könnte noch viel besser sein, hätte Erich Wolfgang Korngold die Oper nicht mit Anfang 20, sondern mit 30 geschrieben und den «Genius loci» nicht vollständig aus der Musik verbannt. Das von ihm und seinem Vater verfasste Libretto weist Brügge durchaus eine zentrale Rolle zu; musikalisch jedoch reduziert sich die Handlung auf Paul, der nicht aufhören kann, seine verstorbene Frau Marie zu beweinen, bis ihn die Tänzerin Marietta, äußerlich Maries Doppelgängerin, um den Verstand bringt.
Im Roman – die Personen tragen dort andere Namen – erdrosselt der Witwer schließlich die lästige Verführerin. Korngolds Libretto entwertet den Plot, indem es den Mord als Traum darstellt.
Georges Rodenbachs «Bruges-la-Morte», ein Meisterwerk des Symbolismus, erzählt eine der sonderbarsten Liebesgeschichten der Weltliteratur. Ohne die graue Schwermut dieses Ortes, ohne seinen Nebel, Regen und unaufhörlichen Glockenklang, die zusammengenommen wie die «kalte Asche der Zeit» über allem liegen, würde die morbide Amour fou des Romans keinen Menschen mehr interessieren. Von den wesentlichen Ingredienzen sind, und das auch nur als ...
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Opernwelt November 2018
Rubrik: Panorama, Seite 40
von Volker Tarnow
Die Afrikaner sollen das Marschieren lernen. Erst klappt es nicht so richtig. Sie bewegen sich zwar im Takt der Marschmusik, ihre Bewegungen erinnern jedoch an Stammestänze. Doch bald fügen sie sich und ziehen für ihre Kolonialherren in den Krieg. William Kentridges Stück «The Head and the Load» erzählt von den vielen afrikanischen Soldaten, die im Ersten...
Nur 20 Kilometer liegt Severodonetsk von der Front entfernt, im äußersten Osten der Ukraine. Seit 2014 ist das Gebiet teilweise von russischen Separatisten besetzt. Bis heute wird an der nahen «Grenze» geschossen. Ein Jahr nach Ausbruch des Konflikts besuchte Peter Schwarz, rühriger Kopf des Stuttgarter Kulturvereins Vladopera, die unwirtliche Chemiestadt (100 000...
In der ausuferndsten, ressourcenverschlingensten Version wird alles in den fünften Akt gedrängt. Stunden liegen da hinter dem Besucher, in mancher Partiturversion sogar ein ganzer Tag. Ähnlich, wenn auch konzentrierter, verhält es sich mit einem Vorläufer von Berlioz’ «Les Troyens». Doch auch bei Purcells «Dido and Aeneas» ist der Abschied der Liebenden...