Grammatik der Schöpfung

Die Neuproduktion von Messiaens «Saint François d’Assise» an der Oper Stuttgart wurde zur «ungewöhnlichsten Opernerfahrung des Jahres» der Saison gekürt. Dabei ist das Werk selbst schon ungewöhnlich. Einblicke in die Gedankenwerkstatt eines strenggläubigen Komponisten

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61 Jahre können eine halbe Ewigkeit sein, mitunter reichen sie für ein ganzes Leben oder sogar für zwei, das Schicksal, der Zufall oder der (liebe?) Gott haben manchmal merkwürdige Pläne mit uns Menschenkindern. Diese Unwägbarkeit muss man sich kurz einmal vor Augen führen, wenn man auf jemanden stößt, der 61 Jahre lang mit größtmöglicher Hingabe derselben Tätigkeit nachgeht – jemanden wie Olivier Messiaen: Von 1931 bis 1992 «bediente» er die Orgel in der Eglise de la St. Trinité an der Place d’Estienne d’Orves im neunten Pariser Arrondissement.

Und das im buchstäblichen Sinn des Wortes: Er versah diesen Dienst aus Überzeugung, aus einem tiefen Glauben heraus, mit spiritueller Inbrunst. Er tat es für Gott.

Als Rolf Liebermann, Intendant der Pariser Oper, Mitte der 1970er-Jahre nach mehreren kommunikativen Anläufen Messiaen endlich die Idee schmackhaft gemacht hatte, eine Oper zu schreiben, war dem französischen Komponisten sogleich klar, dass es sich um ein religiöses Werk handeln müsse. Seine Weltanschauung war eng verknüpft mit seinen ästhetischen Idealen, das verdeutlicht allein ein Satz Messiaens, in dem er Sinn und Wesen der Künste beschrieb. Diese würden es erlauben, «in Be ...

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Opernwelt Jahrbuch 2023
Rubrik: Bilanz des Jahres, Seite 76
von Jan Verheyen

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