Gounod: Faust
Die Welt der Wissenschaft ist ein Kerker: ein schachtartiges schwarzes Halbrund, das Doktor Faust von oben bis unten mit naturwissenschaftlichen Formeln vollgeschrieben hat. Die Welt tätigen Menschenlebens ist aber auch nicht viel besser: ein klinisch weißes Halbrund – ein Altenheim, wie sich herausstellt, eine jener Verwahranstalten, darin Menschen auf elementares Funktionieren reduziert werden. Gretchen ist hier angestellt, sie teilt Essen aus oder schrubbt die Böden. Beide, Faust und Gretchen, haben durchaus Grund, sich aus ihrem Leben fortzuwünschen.
Wollen sie aber deshalb gleich «jemand anders» sein, wie die Regisseurin Vera Nemirova im Programmheft formuliert? Geht es nicht, ganz im Gegenteil, um Selbstwerdung, um Selbsterkenntnis auch? Nemirova folgt der verbreiteten Ansicht, Gounod und seine Librettisten hätten Goethes Vorlage auf die Liebesgeschichte reduziert und Gretchen/Marguerite in den Mittelpunkt der Handlung gestellt. Und sie folgert, Marguerite sei eine «starke junge Frau», die «selbstbestimmt ihre Liebe leben will» und lediglich an den «Moralvorstellungen einer kleinbürgerlichen konservativen Gesellschaft» scheitere. Zeigen lässt sich das ...
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