Gespenster, so nahe
Manchmal, meist unerwartet, passiert das. Die Welt hält inne. Hört nur noch nach innen, lauscht dem feinen Wispern der Seelen, das der Lärm draußen für gewöhnlich übertönt. Das fis-Moll-Duett «Io t’abbraccio» könnte ein solcher Moment sein. Kaum ein Stück Händels ist derart zerbrechlich wie dieses «Larghetto». So berührend schön in seinem Schmerz. Zwei Liebende sind darin vereint, für siebeneinhalb Minuten.
In auf- und niederwogenden, mal sich umkreisenden, mal ineinander verschlingenden Terzen besingen sie ihre Seligkeit – wohlwissend, dass diese, sobald sie aufhören zu singen, ein Ende hat. Lucy Crowe ist Rodelinda, die entthronte Königin, Bejun Mehta Bertarido, ihr heimlich heimgekehrter Gatte. Getrennt durch eine klaffende Lücke, stehen sie auf der ersten Etage des mediterranen Landhauses, das Christian Schmidt ihnen gebaut hat, einander gegenüber, den Abgrund zwischen sich, und singen ihr Les Adieux mit einer Intensität, die kaum auszuhalten ist, auch deshalb, weil Ivor Bolton und das Orquestra Titular del Teatro Real die Szene mit der größtmöglichen musikalischen Empfindungskraft füllen.
Musik selbst ist schon Theater. Ja. Aber nicht genug. Also erfindet Claus Guth in ...
Weiterlesen mit dem digitalen Monats-Abo
Sie sind bereits Abonnent von Opernwelt? Loggen Sie sich hier ein
- Alle Opernwelt-Artikel online lesen
- Zugang zur Opernwelt-App und zum ePaper
- Lesegenuss auf allen Endgeräten
- Zugang zum Onlinearchiv von Opernwelt
Sie können alle Vorteile des Abos
sofort nutzen
Opernwelt Mai 2017
Rubrik: Im Focus, Seite 4
von Jürgen Otten
Die Straßburger «Salome» hat noch gar nicht angefangen, schon sind wir mittendrin. Während das Publikum sich in der Opéra national du Rhin einfindet, streichen drei sehenswerte Grazien in geschlitzter Abendrobe einen Jüngling im Slip mit tiefroter Farbe an. Tiefrot sind auch die gewaltigen Flügel, die er umgehängt bekommt, mit denen er später, des knappen...
«Wer wärmt mich, wer liebt mich noch? Gebt heiße Hände! Gebt Herzens-Kohlenbecken!», klagt Ariadne in Nietzsches «Dionysos-Dithyramben» – Verse, mit denen Wolfgang Rihms Szenarie «Aria/Ariadne» aus dem Jahr 2001 beginnt. Um unerwiderte Liebe geht es auch in den beiden anderen Liedkompositionen der neuesten CD von Juliane Banse, Hans Werner Henzes «Nachtstücke und...
Nun also Monteverdi. Es ist ein Leichtes, sich über die Mechanik von Gedenkjahren zu mokieren. Gleichwohl können solche Jubiläen ihren Sinn haben. Sie erlauben neue Perspektiven, bisweilen sogar Neubewertungen.
Claudio Monteverdi wirft auch 450 Jahre nach seiner Geburt in Cremona viele Fragen auf. Wie spielen? Wie inszenieren? Wie mit den weißen Flecken in seiner...