Geradezu unverschämt
Wenn der Autor eines Textes über klassische Musik Engländer sei, stichelte der Dirigent James Levine einmal in einem Interview, könne man das auch ohne Namensangabe sofort erkennen. An den überschwänglichen Verweisen auf Bax, Delius, Tippett oder Brian. Oder auf Holst. Oder eben auf Ralph Vaughan Williams (1872-1958).
Letzterer, dem Nicht-Briten vor allem als Programm- und Filmkomponist verdächtig, wandelte sozusagen auf den Spuren Gustav Mahlers.
Denn auch er mischte der «hohen» Kunst Partikel aus dem Bereich der Trivialmusik bei, um zumindest musikalisch eine soziale Utopie herzustellen. So benutzte er in seiner London Symphony (1913) eine Fülle von «proletarischem» Material: Music-Hall-Songs, Gesänge der Heilsarmee, Rufe von Straßenhändlern, Drehorgellieder. Sein Sozialismus bestand darin, Musik zu schreiben, die «von allen sofort verstanden» werden könne. In der Oper «Sir John in Love» (1924-1928) sind es vor allem Anklänge an englische Volkslieder, mit «Greensleeves» im Zentrum; der Komponist hat diese Melodie im preziösen Arrangement 1934 dann auch zur Fantasia verarbeit – es wurde seine außerhalb Britanniens wohl bekannteste Komposition. An Mahler (etwa dessen 2. Symphonie) ...
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Opernwelt April 2016
Rubrik: Hören, Sehen, Lesen, Seite 25
von Gerhard Persché
Mit ungeheurer Brutalität steigt Verdi in seinen «Otello» ein, mit Lärm statt Wohllaut: Donner, Blitz, sturmgepeitschtes Meer. Otellos Segelschiff steht kurz vor dem Kentern, die Leute im zyprischen Hafen sind panisch oder zynisch, wie Jago, der von Anbeginn die Fäden für den Untergang des venezianischen Generals und seiner Frau Desdemona spinnt.
Von äußerem...
Die Cottbuser können sich beim Betriebsrat des Hallenser Opernhauses bedanken. Der hat ihnen nämlich Martin Schüler in die Arme getrieben. «In der DDR gab es ja die Absolventen-Einsatzkommission», erzählt der 1958 geborene und an der Berliner Eisler-Hochschule ausgebildete Regisseur. «Nach dem Studienabschluss musste man eine Prüfung ablegen und wurde dann einem...
Fortschritt oder Reaktion, einfach oder kompliziert? (Gewissens-)Fragen, die die Kulturgeschichte durchziehen. Arnold Schönberg, «konservativer Revolutionär», pries Brahms als «the progressive», hielt gleichwohl der Frage, ob er Wagnerianer oder Brahmsianer sei, trotzig weanerisch entgegen: «Ich bin Selberaner.» Und immer wieder erhebt sich das Bild des Januskopfs,...