Fremd sind wir uns selbst
Kann man dem Mythos von Medea, der über Jahrhunderte immer wieder musikalisch gedeutet wurde, noch eine eigene Lesart abgewinnen? Die Stuttgarter Uraufführung «Fremd» gibt als Antwort ein überraschend eindeutiges Ja. Hans Thomalla hat mit Grillparzers Trilogie «Das goldene Vließ» denselben Ausgangspunkt gewählt wie Aribert Reimann 2010 und schreibt – in der Nachfolge von Nono und Lachenmann – ein konzeptionelles Musiktheater, das mit dem Stoff zugleich dessen paradigmatische Bedeutung für die abendländische Kultur ins Zentrum rückt.
«Fremd» erzählt mehr als nur eine Liebesgeschichte mit tödlichem Ausgang. Es geht um die Konfrontation zweier einander entgegengesetzter Erfahrungs- und Ausdruckswelten: Natur und Begriff, Frau und Mann, autonomes Subjekt und logozentrische Vernunft. Die Texte hat Thomalla sich aus unterschiedlichen Vorlagen herausgebrochen, aber nicht im traditionellen Sinn vertont, sondern gleichsam musikalisch überschrieben.
Die erste Station zitiert, mit der «Argonautika» des hellenistischen Epikers Apollonios, den Raubzug der Griechen nach Kolchis: ein Heldenkatalog der wie aus einem Armeebericht namentlich verlesenen 32 Abenteurer, die von der Musik für Momente aus ...
Weiterlesen mit dem digitalen Monats-Abo
Sie sind bereits Abonnent von Opernwelt? Loggen Sie sich hier ein

- Alle Opernwelt-Artikel online lesen
- Zugang zur Opernwelt-App und zum ePaper
- Lesegenuss auf allen Endgeräten
- Zugang zum Onlinearchiv von Opernwelt
Sie können alle Vorteile des Abos
sofort nutzen

Opernwelt August 2011
Rubrik: Im Focus, Seite 18
von Uwe Schweikert
Ponnelle! So schießt es einem unwillkürlich durch den Kopf, wenn der Zürcher Vorhang sich zu Mozarts «Il re pastore» öffnet. Wie’s der große Jean-Pierre so oft praktizierte: ein üppig-barockes Brunnen-Ambiente der wülstig wuchernden Treppen-Symmetrie mit einigem Symbolgetier. Indes, Luigi Perego war’s wieder mal. Er kleidete Mozarts Huldigungs-«Serenata» ein....
Zum Abschluss der an entdeckerischem Wagemut wahrlich nicht armen Saison wartete die Oper Frankfurt mit zwei weiteren Premieren abseits des üblichen Repertoires auf. Beide Stücke, Marc-Antoine Charpentiers «Médée» und Aulis Sallinens «Kullervo», spielen in mythischer Vorzeit, also heute. Beide Male, in der 1693 uraufgeführten Barockoper wie in der fast genau...
Auch wenn visuelle Aufzeichnungen von Liederabenden der Kamera nicht viele Entfaltungsmöglichkeiten bieten und der optische Eindruck meist ziemlich einförmig bleibt, ergänzen sie die Tonaufzeichnungen doch in entscheidender Weise. Denn Haltung, Mienenspiel und Selbstdarstellung des auf dem Podium ganz auf sich gestellten Sängers sind ein nicht unbedeutender...