Frauen vor Flusslandschaft
Den stolzen wie stimmungsvollen Strom der Wolga, an der das fiktive Provinzstädtchen Kalinow liegt und Leoš Janáčeks «Katja Kabanowa» spielt, hat Bühnenbildnerin Barbara Hanicka in weite Ferne gerückt. Der osteuropäische Provenienz garantierende Plattenbau, von dem sie für die Inszenierung ihrer polnischen Landsfrau Barbara Wysocka gleich drei Geschosse ins Große Haus der Opéra national de Lyon hat stellen lassen, dürfte sich in der naturfernen Tristesse eines muffigen postindustriellen Vororts befinden.
Wenn die Figuren aus den verwahrlosten Wohnungen, die kaum mehr Einrichtungsgegenstände zieren, über das mittig installierte Treppenhaus nach draußen treten, dann ist da überall nichts als Beton zu sehen. Einzig das Spielgerät der beiden Kinder am Durchgang unter dem Haus bietet in dieser Trostlosigkeit einen Hauch von normalem Leben. Das durch die (das Geschehen in der jüngeren Vergangenheit verortende) kostümverantwortliche Julia Kornacka komplettierte Regieteam ist in seiner Setzung absolut klar: Wer hier sein Dasein fristet, der oder die will hier raus, wer noch die jugendliche Kraft dafür besitzt, hat Ausstiegs- und Aufstiegspläne. Hier wird die Geschichte eines ...
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Opernwelt Juli 2023
Rubrik: Panorama, Seite 44
von Peter Krause
Selbstverständlich gibt es auch in dieser «Aida» eine Pyramide. Nur glüht nicht der güldene Sandstein. Es dominiert bühnenhohes Schwarzgrau. Ein Ascheberg, Ergebnis des Dauerrieselns durch die Löcher einer zerschossenen Decke. Ein monumentales Bild, das von Regisseur Damiano Michieletto bewusst nicht mit Action gefüllt wird. Hier herrscht Leere, Ausweglosigkeit,...
Am Anfang sind da nur Blicke. Spinnenfeindliche, von gegenseitigem Hass durchtränkte Blicke. Hier die Königin von England, im jungfräulich weißen Ornat; dort die Königin von Schottland, ganz in Witwenschwarz gewandet (die wallenden, rauschenden, den Boden geräuschvoll fegenden Kostüme schuf Klaus Bruns). Um sie herum Stille und Leere: vielsagend. Denn zwischen...
Vergessen kann fatal sein. Wagners Siegfried etwa kostet vom Vergessenstrunk, den ihm Gutrune reicht – damit nimmt die Katastrophe in der «Götterdämmerung» unaufhaltsam ihren Lauf. Erst im Todeskampf wird er sich wieder erinnern, zu spät. Die spannende Frage, wohin ein Gedanke geht, wenn etwas vergessen wird – sie scheint nur Sigmund Freud interessiert zu haben....