Feuer im Eis

Romeo Castellucci begibt sich in seiner «Daphne»-Inszenierung an der Berliner Staatsoper in mythische Gefilde, Thomas Guggeis mindert die Zuckrigkeiten in Strauss’ Partitur

Leise rieselt der Schnee. Unablässig, dichter und dichter werdend, eine Stunde lang. Die Figuren müssen sich in dieser Winterlandschaft vorkommen wie der brave Hans Castorp aus Thomas Manns «Zauberberg», der sich bei einem Ausflug ins Gebirg’ zusehends verirrt und von den Schneemassen fast zugeschüttet wird. Eine Grenzerfahrung birgt auch Romeo Castelluccis Winterlandschaft, vor allem für Leukippos, den tapferen Hirten, der stürmisch und sterblich in Daphne verliebt ist, seine Gespielin aus vormaliger (besserer?) Zeit, sowie für die Bergnymphe und Priesterin der Gaea selbst.

Doch sie sucht förmlich nach dieser grundsätzlichen Naturerfahrung, ahnend, wenn nicht wissend, dass sie zu den Menschen nicht gehen will, zu ihrer Oberflächlichkeit, Selbstbezogenheit und Lieblosigkeit. Daphne, die radikal Andere, rebelliert bewusst gegen verkrustete gesellschaftliche Konventionen, die ihr eine «Rolle» zuschreiben, die sie nicht mag, ja nicht einmal «spielen» will. Dann doch lieber bei sich sein, solipsistisch-autonom, in (und mit) der Natur. Schon nach wenigen Minuten, der markante Hornruf zum Dionysos-Fest ist ungehört verhallt, entledigt sich Vera-Lotte Boecker ihres schützenden Mantels, ...

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Opernwelt April 2023
Rubrik: Im Focus, Seite 10
von Jürgen Otten

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