Einspruch aus dem Elfenbeinturm: Schön hässlich bitte!
Das 19. Jahrhundert ist die Epoche des Charakteristischen: 1827 proklamierte Victor Hugo, auch das Hässliche sei schön. 25 Jahre später veröffentlichte ein Nachfolger Kants im ostpreußischen Königsberg gar eine «Ästhetik des Hässlichen». Im 20. Jahrhundert musste sich dann auch das Musiktheater den Katastrophen zweier Weltkriege stellen. Mit dem naiven Glauben an das Schöne in der Kunst war es, so schien es, endgültig vorbei. Aber von vielen Zuschauern wird das Opernhaus als letztes Refugium des Schönen (miss-)verstanden.
Und nicht nur von ihnen: Auch in der Gesangsausbildung scheint solche Skepsis nicht angekommen zu sein. Alles wird auf «Linie» gesungen. Nur wenn ein Komponist ausdrücklich staccato-Punkte und Pausen gesetzt hat, entkommen wir dem butterweichen legatissimo. Das klingt oft gut, ist aber völlig daneben, wo es eben um Hässliches geht. Wenn der Titelheld in «Roberto Devereux» am Beginn seiner letzten Arie schluchzend stammelt «A te dirò negli ultimi singhiozzi», soll das gerade nicht eine schöne «Linie» werden. Nein, Donizetti charakterisiert eine verlorene Seele, die nicht einmal mehr die vom Orchester vorgegebene Melodie übernehmen kann. Gesungen wird es in allen ...
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Opernwelt Juli 2015
Rubrik: Magazin, Seite 76
von Anselm Gerhard
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Viel Zeit zum Verschnaufen bleibt kaum. Als Nächstes, gleich nach der Uraufführung, muss ein liebestoller Gott betreut werden, und das nicht in der gängigen Vertonung von Richard Strauss, sondern in der von Antonio Caldara. Der Venezianer erhielt seinerzeit von Salzburgs Fürsterzbischof den Auftrag, fürs neue Heckentheater im Mirabellgarten Standesgemäßes zu...
Natürlich ist es reiner Zufall, dass zeitgleich zur Braunschweiger «Peer Gynt»-Premiere in München NS-Kunst aus dem Depot geholt und mit Zeitgenossen konfrontiert wurde. Wird da aus dem Keller heraufgezerrt, was im Rahmen einer (verspäteten) Entnazifizierungsdebatte dorthin verbannt wurde? Auch in Cottbus war Werner Egks Ibsen-Destillat aus dem Jahr 1938 ja...