Der Kuss der Spinnenfrau

Calixto Bieito beschert dem scheidenden Intendanten Per Boye Hansen in Oslo mit einer psychologisch tiefsinnigen «Tosca» einen würdigen Abschied, Karl-Heinz Steffens betont die schroffen Seiten der Partitur

Opernwelt - Logo

Die Heilige ist nackt. Splitterfasernackt. Mit dem Rücken zu uns, embryotisch gekrümmt, liegt Maddalena (Randi Lund) an der Bühnenrampe, Schutz suchend, wo nur spitze Schuhe sind. Mehrfach, fast obsessiv, tritt ihr ein blondgewellter Mann in hellblauem Anzug und verspiegelter Sonnenbrille mit ungeminderter Wucht in den Schoß, selbst vor der Apostelin der Apostel hat dieser Fiesling keinen Respekt. Ganz im Gegenteil. Auch sie ist nur stumpfe Materie für ihn, Objekt jenes machtlüsternen Sadismus, mit dem er über Rom herrscht und alle, die dort leben, Kinder, Künstler, Knappen.

 

Ein schockierendes Bild, nicht das einzige. Wieder einmal sucht Calixto Bieito nach den Extremen eines Werks; in «Tosca» liegen sie für ihn in jenen Bereichen der menschlichen Existenz, wo das Böse regiert, hemmungslos, hartherzig, hinterhältig. Scarpia ist nur ihr prominentester Vertreter – Teil eines politischen Systems, das seine Glieder in zwei Gruppen aufteilt: in diejenigen, die zu machiavellistischen Monstern mutieren, und in Opfer. Dazwischen gibt es nur die Kunst. Aber dazu später.

Am Anfang, vor der Musik, steht die gesellschaftliche Realität. Und die ist, auf Susanne Gschwenders leerer Bühne, ...

Weiterlesen mit dem digitalen Monats-Abo

Sie sind bereits Abonnent von Opernwelt? Loggen Sie sich hier ein
  • Alle Opernwelt-Artikel online lesen
  • Zugang zur Opernwelt-App und zum ePaper
  • Lesegenuss auf allen Endgeräten
  • Zugang zum Onlinearchiv von Opernwelt

Sie können alle Vorteile des Abos
sofort nutzen

Digital-Abo testen

Opernwelt August 2017
Rubrik: Im Focus, Seite 8
von Jürgen Otten

Vergriffen
Weitere Beiträge
Kinderträume

Wir stellen uns die Szene vor. Eine Party. Im Salon die Erwachsenen, angeregt über Politik, Wirtschaft, Sport und Gesellschaft disputierend. Nebenan eine bunte Rasselbande, im enthemmten Durcheinander. Mitten unter ihnen, auf Knien durchs Zimmer rutschend, ein soignierter Herr im Anzug ... Eine Fiktion. Allein, sie war Realität. Maurice Ravel liebte es, unter den...

Apropos... Klischees

Wie schwer ist es, auf dem Countertenor-Markt eine Nische zu finden?
Ich suche nicht nach einer Nische. Ich versuche, ich selbst zu sein. Und es klappt: Ich bin 40, habe schöne Angebote, muss auch nicht nur das Standardrepertoire singen. Mir geht es aber um anderes. Da ich zunächst Schauspieler war, ist Theater an sich für mich das Wichtigste, nicht irgendeine...

Viel Sonne und ein Regenbogen

Es gibt Opernhäuser, die wollen schon von außen zeigen, wie bedeutend sie sind – Palermos Teatro Massimo gehört zweifelsohne zu ihnen. Eine monumentale Freitreppe führt zu einem neoklassizistischen Portikus, der von sechs hoch aufragenden korinthischen Säulen getragen und von zwei bronzenen Löwen bewacht wird. Eine mächtige Kuppel überspannt den Zuschauerraum (für...