Der bewegte Mensch

Nur bei drei Opernprojekten ­haben Pierre Boulez und Patrice Chéreau zusammen­gearbeitet: Sechs Stücke in über dreißig ­Jahren, das ist nicht viel. Doch jede dieser Produktionen war eine Wegmarke, ein Modell, ein Ausnahmefall. Janáceks «Aus ­einem Totenhaus» bei den ­Wiener Fest­wochen wurde bei unserer Kritikerumfrage zur «Aufführung des Jahres» gewählt. Es ist eine Produktion, für die vieles gilt, was Boulez und Chéreau schon bei ihrem Bayreu­ther «Ring» zur Maxime erhoben und dann bei Bergs «Lulu» in ­Paris fortsetzten. «Ich habe es gern, wenn sich eine Inszenierung von mir losmacht», sagte Chéreau schon in den siebziger Jahren: Sobald Regie bis ins Detail geklärt und abgesprochen sei, beginne für die Sänger eine große Freiheit des Gestaltens. Und Boulez fügte für das Hörerlebnis hinzu: «Eine grundlegende Interpretation der Vergangenheit kann nur aus der Gegenwart ­erfolgen, durch den Filter eines wirklich zeitgenössischen Denkens.» Der folgende Essay von Eleonore Büning lässt die Arbeiten eines ungewöhn­lichen Duos Revue passieren.

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Schluss jetzt, sagen die beiden leicht zerknitterten Herren auf dem Podium. «Es bleibt dabei, dies wird meine letzte Oper sein», meint der Ältere (82), der Jüngere (63) schließt sich an: «Das tue ich nicht mehr!» Und lächeln einander so verständnisinnig an, als könn­ten sie wirklich zurückblicken auf ein vol­les, rundes, von gemeinsamen Premieren gepflastertes Bühnenleben. Wer aber aus der kleinen Runde von Freunden, Kollegen und Presseleuten, die da zusammengetroffen sind am 12.

Mai dieses Jahres zum «meet & greet» in den Räumen der Universal Edition in Wien, möchte auch nur ein halbes Komma glauben von diesem Bekenntnisduett?

Noch jedesmal nach Abschluss einer Opernproduktion haben Pierre Boulez und Patrice Chéreau erklärt, ihre Zusammenarbeit sei hiermit definitiv beendet. Andererseits braucht man aber auch keine fünf Finger, um die gemeinsamen Arbeiten der beiden aufzuzählen. Es begann vor einunddreißig Jahren mit dem spektakulären «Ring des Nibelungen» in Bayreuth,  dann holte Rolf Liebermann 1979 das Erfolgsduo nach Paris für Alban Bergs «Lulu», und zwar mit dem von Friedrich Cerha vervollständigten dritten Akt. Und jetzt, im Frühjahr 2007, war es Luc Bondy gelungen, die ...

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Opernwelt Jahrbuch 2007
Rubrik: Aufführung des Jahres, Seite 10
von Eleonore Büning

Vergriffen
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