Denke weiter nach!
In sein «Wintermärchen» vom Silbersee ließ Georg Kaiser, viel gespielter Dramatiker dieser Jahre, einige Wirklichkeit eingehen. Junge Arbeitslose, denen keine Parolen mehr gegen den Hunger helfen, plündern einen Lebensmittelladen, in dem Lebensmittel weggeworfen werden, um die Preise hochzuhalten. Auf der Flucht wird der Anführer Severin angeschossen. Den Polizisten Olim plagt danach sein Gewissen.
Hätte er nur Geld, er wolle wiedergutmachen! Da macht ihn ein Lotteriegewinn schlagartig zum Schlossbesitzer, er pflegt sein Opfer inkognito, bis die Sache auffliegt und wegen Blödheit das Schloss wieder futsch ist, und dann stehen Olim und Severin erneut vor dem Nichts. Das Wintermärchenhafte ist nun, dass der Silbersee, in dem sie sich ertränken würden, zufriert, obwohl gar kein Winter ist. Wer weiter muss, den trägt der Silbersee, heißt es, und Weill schrieb, vier Jahre nach der «Dreigroschenoper», ein allerschönstes Märchenmusikfinale dazu, nach allerhand Spitzigem und Witzigem, Agit-Songs, Chorälen, Trauermärschen, Totentanz und Tango.
Schon zwei Wochen nach der Uraufführung im Februar 1933 war der hoffnungsfrohe Schluss eingeholt von der Wirklichkeit und der «Silbersee», der das ...
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Opernwelt November 2021
Rubrik: Im Focus, Seite 18
von Holger Noltze
Als Giuditta Pasta 1850 in London ihre letzten Konzerte sang, war ihre Stimme, wie Henry Fothergill Chorley in seinen Erinnerungen berichtet, «in a state of utter ruin». Voller Trauer sagte Pauline Viardot: «Es ist wie das letzte Abendmahl von Leonardo da Vinci – ein Wrack von einem Bild, aber dieses Bild ist das größte Gemälde der Welt.» In Erinnerung an eine...
Zum Saisonstart herrscht im öffentlichen Leben Amsterdams, obwohl die Touristenmassen der Vor-Pandemie-Zeit (zum Glück) noch nicht zurückgekehrt sind, weitgehend Normalität. Restaurants und Kneipen, Blumenmarkt und die einladenden Plätze der Grachtenstadt sind trotzdem gut gefüllt, während die Kulturinstitutionen sich nach wie vor vergleichsweise strengen...
Der Anfang ist witzig. Aus einem Bühnenloch klettern Fatty und Dreieinigkeitsmoses heraus auf die schwarz glänzende, leere Fläche, doch nicht als gewöhnliche Ganoven. Jens Larsen trägt den Talar eines salbadernden protestantischen Pfarrers, Ivan Turšić gibt, sehr pointiert, einen jüdischen Rabbi. In den Händen halten sie ihre Gebetsbücher, aber nicht allzu fest....