Das Glück so fern
Die gute Nachricht zuerst: Jochanaan darf seinen klugen Kopf behalten. Der Henker verschont ihn, vermutlich weil er im Urlaub ist, und die königliche Familie scheitert bei dem ohnehin auch nur halbherzigen Versuch, den Propheten zu enthaupten. Salome scheint ein gewisses Mitgefühl für den religiösen Mann zu haben, der ihr trotz mehrmaliger Bitten den Wunsch verweigert hat, sie zu küssen, Herodes und Herodias hingegen haben einfach nicht den Mumm, um eine solch grausam-gruselige Tat zu begehen.
Jenes Messer, mit dem die judäische Prinzessin eine gute Stunde zuvor den sterblich verliebten Narraboth ins Jenseits beförderte (den Mord aber wie einen Suizid aussehen ließ), erfüllt seine Funktion nicht.
Glücklich ist darüber jedoch niemand. Jochanaan nicht, weil er zwar weiterleben darf, aber seiner wesentlichsten Gabe (schlimme Wahrheiten zu verkünden) beraubt wurde; sein Mund ist mit einem Knebel zugeklebt, er selbst hockt gefesselt und gedemütigt an einer der Gerüststangen, die vorher den mondän-sterilen Bungalow (Bühne: Stephan von Wedel) an Braunschweigs Staatstheater rahmten und schaut ziemlich betrübt aus der (zwischen beiger Bluse und ockerfarbener Hose changierenden) Wäsche. ...
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Opernwelt Februar 2024
Rubrik: Panorama, Seite 46
von Jürgen Otten
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