Bürgerschreck, Bonvivant und Bühnenzauberer

Er war in vielerlei Hinsicht außergewöhnlich. Als Regisseur sowieso, aber ebenso als Autor vermochte Hans Neuenfels die (Musik-)Theaterwelt mit seinen intelligenten Sottisen auf das Beste unterhalten und vor allem zum Nachdenken anregen. Erinnerung an einen Großen der Zunft

Damals, 2003, mussten denkfähige Opernregisseure statt irrlichternder Shitstorms im Netz noch richtig analoge Protestgewitter aushalten, wenn sie die Sehgewohnheiten traditioneller Opernbesucher angegriffen hatten oder wenn sich politische und religiöse Gruppierungen durch widerständige Theaterideen ideologisch diskreditiert fühlen durften.

Hans Neuenfels, der sich längst seines Rufs als Provokateur und Enfant terrible der Bühnenkünste erfreute, machte eine knallende öffentliche Protest-Erfahrung, als er an der Deutschen Oper Berlin in seiner Inszenierung von Mozarts «Idomeneo» dem Publikum ein schockierendes Schlussbild präsentierte: den im Selbstzweifel zerbrechenden Idomeneo, den König von Kreta vor den Scherben seines Gott- und Götter-Glaubens. Das seelische Desaster identifizierte der Regisseur mit einem Bild des radikalen Religionszweifels, ja, des Bankrotts der großen Weltreligionen.

Was Neuenfels da zeigte, musste selbst im unheiligen Berlin von manchen als Zumutung empfunden werden: Vier Glaubensgründer werden mit ihren abgeschlagenen Köpfen, auf vier Stühle verteilt, vorgeführt, neben dem Griechengott Poseidon also Jesus, Mohammed und Buddha. Drohbriefe von sich ...

Weiterlesen mit dem digitalen Monats-Abo

Sie sind bereits Abonnent von Opernwelt? Loggen Sie sich hier ein
  • Alle Opernwelt-Artikel online lesen
  • Zugang zur Opernwelt-App und zum ePaper
  • Lesegenuss auf allen Endgeräten
  • Zugang zum Onlinearchiv von Opernwelt

Sie können alle Vorteile des Abos
sofort nutzen

Digital-Abo testen

Opernwelt März 2022
Rubrik: Erinnerung, Seite 60
von Wolfgang Schreiber

Weitere Beiträge
Vom Hellen ins Dunkle

Wer die Schönheit sucht, wird in den Filmen dieses Künstlers nur fündig, wenn er sich auf eine lange Reise begibt, vom Licht ins Dunkel. Filme von Michael Haneke sind eine Zumutung. Sie verstören, sie sind – dafür genügt es schon, allein «Funny Games» von 1997 anzuschauen – imstande, binnen zwei Stunden jeglichen Glauben an die Menschheit  verlieren zu lassen. Sie...

Eruptive Erstfassung

Mit den klassischen Formen wie Sinfonie und Sonate oder gar der Oper hatte die Nachkriegs-Avantgarde, die sich seit 1946 alle zwei Jahre bei den Darmstädter Ferienkursen traf, nichts im Sinn. Genau um sie aber rang der grüblerische Solitär Bernd Alois Zimmermann, der sich damit zwischen alle Stühle setzte. Stil war ihm zwar, wie er einmal bekannte, «nicht...

Hektik im Hades

Beinahe wäre hier eine zeitlose Inszenierung gelungen: keine Soldateska, keine Blutorgien, kein Sado-Sex in Unterwäsche. Aber so reaktionär wollte der Regisseur dann doch nicht sein, weswegen zumindest etwas Hospitalisierung geboten wird. Krankenhausbetten gehörten schon vor der Pandemie auf jede halbwegs anständige Bühne, Damiano Michieletto selbst benutzte diese...