BILDERFLUTEN
Rein optisch wird man sich an diesen Abend vermutlich noch lange erinnern. Denn nichts Geringeres hat Simon Stone bei seinem Met-Regiedebüt mit Donizettis «Lucia di Lammermoor» im Sinn als eine Kombination aus Exzess und Deprivation. Lizzi Clachans unablässig rotierende Drehbühne ist übersät mit Scherben und Bergen von Müll, neben einer Tankstelle erhebt sich ein mehrstöckiges, abbruchreifes Haus mit schäbig eingerichteten Räumen. In der Luft hängt ein riesiger Bildschirm, dessen unablässig flimmernde Videoprojektionen doch sehr stark vom Geschehen auf der Bühne ablenken.
Fast scheint es, als seien Stone und Clachan überzeugt davon, dass digitale Technologie und fernsehaffine Bilderfluten aus dem Geist Quentin Tarantinos nötig wären, um einem aufgeklärten New Yorker Opernpublikm Lucias Geschichte glaubhaft und «realistisch» zu vermitteln. Ein kapitaler Irrtum.
Zugegeben, die live aufgenommenen Closeups von Nadine Sierra (Lucia) und Javier Camarena (Edgardo) verfehlen ihre Wirkung nicht, ebenso wenig die vorproduzierten Schwarzweiß-Videos. Alles andere aber wirkt ästhetisch und situativ deplatziert: vom Drive-in-Spiel mit Bob Hope und Dorothy Lamour in Norman Z. McLeods Film «Road ...
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Opernwelt 6 2022
Rubrik: Panorama, Seite 51
von David Shengold
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Große Theaterabende, sei es im Schauspiel oder in der Oper, zeichnen sich durch drei Dinge aus. Erstens erscheint die dramatische Handlung als so stark verdichtet, plausibel und (erschütternd) logisch, dass man sich im Zuschauerraum fühlt, als würde man selbst auf der Bühne stehen und erleiden, was den Figuren widerfährt. Zweitens: Man vergisst von Zeit zu Zeit zu...
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