Kafka in New York

Marie-Eve Signeyrole schickt den Titelhelden von «La damnation de Faust» an der Staatsoper Hannover in die Zivilisationshölle, Ivan Repušić erkundet das Liedhafte bei Berlioz

Der Dichter leidet. «Hör’ ich das Liedchen singen, / Das einst die Liebste sang, / So will meine Brust zerspringen / Vor wildem Schmerzensdrang.» So ritzte es Heinrich Heine in seinem «Lyrischen Intermezzo» aus dem «Buch der Lieder» ins Papier, tränenüberströmt vermutlich. Robert Schumann komponierte dazu im zwölften Lied seiner «Dichterliebe» eine Musik, die so klingt, als würden diese Tränen aufs Pflaster tropfen, eine nach der anderen, in zerbrechlichen Sechzehnteln, fast wie in Zeitlupe.

Noch während der Graben im Dunkeln liegt, nimmt eine Frau auf einem Hocker Platz und tupft die ersten Töne des g-Moll-Liedes auf die Tasten eines alten Klaviers. Doch weit und breit ist kein Sänger in Sicht, der die Melodiesplitter aufsammeln würde. Stattdessen tritt aus den Lamellen ein kleiner Junge, taxiert die stumme Sängerin sekundenlang ausdruckslos und knallt dann den Klavierdeckel zu. Die Frau verschwindet, angstvoll ihr Blick.

Poetischer, brutaler zugleich kann ein Abend kaum beginnen. Vor allem, wenn man die zweite Strophe des Gedichts in Gedanken rezitiert: «Es treibt mich ein dunkles Sehnen / Hinauf zur Waldeshöh’, / Dort löst sich auf in Tränen / Mein übergroßes Weh.» Faustische ...

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Opernwelt April 2019
Rubrik: Im Focus, Seite 6
von Jürgen Otten

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