Aus zweiter Hand
Fünf Holzstühle, vorn rechts. Fünf Grablichter. Vor jedem Stuhl eines. Sonst ist nichts zu sehen, wenn zu Beginn des dritten Aufzugs die Streicher trauertrunken, «mäßig bewegt», in sehrendem Klageton verkünden, dass dem liebesglühend-todessüchtigen Paar auf Erden wohl nicht mehr zu helfen ist. Kareol liegt im Dunkel. Im opaken Dunst eines Nirgendwo. Zum leeren Screen wird hier der Raum. Zu einer Tafel, auf der, in Tristans Fiebermonolog, Traumbilder schimmern, Halluzinationen – und gleich wieder verblassen.
Marienblaue Isolde-Erscheinungen schweben da in milchig-trüben Dreiecksrahmen. Ungreifbar, körperlos stehen sie ab vom schwarzen Grund. Verschwinden im Boden, verlieren den Kopf, schwitzen Blut, sobald Herr Tristan naht. Sinken zurück in die alles umfangende Nacht.
Die Idee, in Bayreuth ein «unsichtbares Theater» zu «erfinden», ist nicht neu. Wagner selbst soll sie – laut Cosima – bereits 1878 in die Welt gesetzt haben. Vor gut zehn Jahren wäre es beinahe Wirklichkeit geworden: In «totaler Finsternis» wollte der dänische Filmregisseur Lars von Trier («Melancholia») den «Ring» spielen lassen, den er dann doch nicht inszenierte. Nur durch winzige, durch den Guckkasten wandernde ...
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Opernwelt September/Oktober 2015
Rubrik: Im Focus, Seite 12
von Albrecht Thiemann
Vielfach geteilte Streicherklänge flirren wie Hitzewellen über der Bühne des Linbury Studios im Royal Opera House: «Cities of Salt», zweite Szene eines work in progress. Ein Wadi in irgendeinem arabischen Land, irgendwann in den 1930er-Jahren. Das englischsprachige Libretto basiert auf Abdelrahman Munifs gleichnamigem Roman; es geht um die Folgen des Ölgeschäfts in...
In seiner 40. Saison bot das Glimmerglass Festival in sämtlichen Produktionen Bemerkenswertes. Leonard Bernsteins «Candide» wurde, seit die Uraufführung 1956 zum Flop geriet, bereits in zahlreichen Bearbeitungen aufgeführt. In Glimmerglass kombinierte man jetzt eine Fassung der Scottish Opera (1988) und das Textbuch von John Caird (1999). Die Inszenierung nahm...
Brünnhilde will nicht. «Heil, dir, Sonne!» drei, vier, fünf Meter über dem Boden? «Da kann ich nicht frei singen», sagt Judith Németh. Das Schwanken, der Schwindel, das Herzrasen. Schon der Blick auf die Gondel, in der die Walküre im dritten «Siegfried»-Akt aus der Tiefe auffahren soll, dem Liebeslicht entgegen, bis das wallende Brautkleid die Bühne füllt, macht...