Burlesker Totentanz
Das Gedankenspiel hätte ihm gefallen: Nach den Regeln der Quantenmechanik, meinte der Physiker Erwin Schrödinger 1935, könne eine Katze, die man in eine Kammer mit instabilen, sprich: potenziell strahlenden Atomen einschließe, gleichzeitig lebendig und tot sein. Warum? Weil man nicht weiß, wann genau die Kerne zerfallen und ihre radioaktive Energie freisetzen. Schrödingers «burleske» Versuchsanordnung kommt uns unwillkürlich in den Sinn, wenn wir dem frankokanadischen Komponisten Claude Vivier in die einzige Opernkammer folgen, die er hinterlassen hat: «Kopernikus».
Als ein «rituel de mort» hat Vivier das 1980 in Montréal uraufgeführte 70-Minuten-Stück für sieben Gesangssolisten, acht Instrumentalisten und ZuspielSounds bezeichnet. Doch Agni, die zwischen Diesseits und Jenseits irrlichternde Hauptperson, wirkt in ihrer heiteren Neugier auf das Andere eher wie «Alice in Wonderland» als ein leichenbleicher Grufti. Lebendig und tot zugleich – das genau ist der Status der Figur, die in einer dicht getakteten, fluoreszierenden Szenenfolge allen möglichen (Geister)Stimmen aus Musik, Literatur und Wissenschaft begegnet: Lewis Carroll natürlich, Merlin, der Königin der Nacht, einem ...
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Opernwelt August 2016
Rubrik: Hören, Sehen, Lesen, Seite
27
von Albrecht Thiemann