Keine Chance für Gefühle

Glucks Armide an der Komischen Oper in Berlin

Opernwelt - Logo

Unter den Reformopern Glucks dürfte die 1777 uraufgeführte «Armide» derzeit den höchsten Aktualitätswert besitzen: Wenn die Titelheldin erkennen muss, dass wahre Liebe in einer einzig durch Konsum und Konvention bestehenden Gesellschaft keine Chance hat, passt das auf die durchsexualisierte Welt des 21. Jahrhunderts.

Und wenn Armide am Ende von ihrem Rinaldo mit ein paar lapidaren Floskeln des Bedauerns abgespeist worden ist, stockt einem der Atem vor der Kühnheit, eine Oper nicht mit Mord und Totschlag, sondern einfach mit der Wut und dem Schmerz einer einsamen Frau enden zu lassen. Geht’s denn überhaupt moderner?
Calixto Bieito lässt jedenfalls keinen Zweifel daran aufkommen, dass die Geschichte hier und heute ihren Platz hat: Aus der heidnischen Zauberin Armide ist eine Business-Frau geworden, die die Männer an der Kandare hat. Eine ganze Horde splitternackter Athleten hält sie sich als erotische Verfügungsmasse in ihrem kalt glänzenden Hightech-Palast. Wer hier Gefühle zeigt, hat schon verloren. Mit schonungsloser Deutlichkeit vollzieht Bieito den Abstieg nach, dem Armide von dem Augenblick an ausgeliefert ist, in dem sie versucht, ihre Liebe zum Ritter Rinaldo  ...

Weiterlesen mit dem digitalen Monats-Abo

Sie sind bereits Abonnent von Opernwelt? Loggen Sie sich hier ein
  • Alle Opernwelt-Artikel online lesen
  • Zugang zur Opernwelt-App und zum ePaper
  • Lesegenuss auf allen Endgeräten
  • Zugang zum Onlinearchiv von Opernwelt

Sie können alle Vorteile des Abos
sofort nutzen

Digital-Abo testen

Opernwelt Juni 2009
Rubrik: Panorama, Seite 40
von Jörg Königsdorf

Vergriffen
Weitere Beiträge
Abschied mit Ödipus

Die meisten Menschen unterscheiden mühelos zwischen rituellem Theater (wie es etwa im alten Griechenland oder in entlegenen indischen Dörfern existiert/e) und der zeitgenössischen Kulturindustrie Europas oder Amerikas. Der Regisseur Peter Sellars lässt diese Unterscheidung nicht gelten. Anlässlich der Abschiedsfeierlichkeiten der Los Angeles Philharmonic für ihren...

Starkes Plädoyer

Schon zum dritten Mal in dieser Spielzeit trumpft das Bremerhavener Stadttheater mit einer Rarität auf: Nach Donizettis «Maria Stuarda» und Massenets «Don Quichotte» präsentiert Intendant Peter Grisebach jetzt Aribert Reimanns «Melusine», von K. H. Ruppel seinerzeit als «eine der interessantesten und sublimsten modernen Opern» (OW 9/1973) bezeichnet, zum ersten Mal...

Bekannte Gesichter, gemischte Gefühle

Die Unsitte, Klassik-Stars wie ihre Kollegen aus der Pop-Branche als Sexsymbole zu verkaufen, treibt weiterhin seltsame Blüten. Die EMI glaubte nun, ein anspruchsvolles Programm mit dem verheißungsvollen Titel «Midsummer Night» durch Hochglanzfotos der Interpretin «an den Mann» bringen zu können. Die englische Sopranistin Kate Royal, durchaus mit Model-Qualitäten...