Bürgerliches Trauerspiel

Mariame Clément und Christophe Rousset decken in Rameaus «Castor et Pollux» am Theater an der Wien eine traumatische Familiengeschichte auf

Opernwelt - Logo

Der Olymp liegt hinter einer Flügeltür. Oben auf der Galerie, zu der eine hochherrschaftliche Treppe führt, die das holzvertäfelte Vestibül symmetrisch in zwei Hälften teilt. Links und rechts neben der Tür hängen die Ahnen an der Wand. In Öl, ordentlich gerahmt. So entrückt wie der meist abwesende Patriarch (Jupiter), der, vom Treiben unten im Foyer hermetisch abgeschottet, die Geschäfte, seinen Clan und das Dienstpersonal (Chor) führt. Am Fuß der mit einem roten Läufer bespannten Stufen tollen der kleine Castor und der kleine Pollux. Lichtes Kinderglück.

Bis der Privatsekretär (Grand Prêtre) des Familienoberhaupts aus dem Portal tritt und mit einer stummen Geste Pollux hinaufzitiert. Castor muss draußen bleiben, auf dem Parterre, unter den mild lächelnden Augen der mütterlichen Erzieherin (Cléone). Einen Moment verharrt er reglos, verunsichert, haftet der Blick auf dem verschlossenen Eingang zum Sanktuarium des Vaters. Dann vergisst er sich wieder im Spiel – und ritzt mit einer Schere versehentlich die Haut. Blut rinnt über das Handgelenk. Pollux, von der Audienz zurückgekehrt, bemerkt die Verletzung sofort, prüft fragend, verwirrt die eigene unversehrte Hand. Ein Achselzucken – ...

Weiterlesen mit dem digitalen Monats-Abo

Sie sind bereits Abonnent von Opernwelt? Loggen Sie sich hier ein
  • Alle Opernwelt-Artikel online lesen
  • Zugang zur Opernwelt-App und zum ePaper
  • Lesegenuss auf allen Endgeräten
  • Zugang zum Onlinearchiv von Opernwelt

Sie können alle Vorteile des Abos
sofort nutzen

Digital-Abo testen

Opernwelt März 2011
Rubrik: Im Focus, Seite 14
von Albrecht Thiemann

Vergriffen
Weitere Beiträge
Opern-Schredderer

Das letzte Opern-Tabu hat einen Namen: David Marton. An der Treue zum Notentext nämlich, an der Form der Werke, hat selbst die vom sogenannten Regietheater revolutionierte Oper bislang nicht gerüttelt. Marton schon.

Selbst bei der Länge der Werke tendiert die Gegenwart, die zugleich szenisch immer stärker dekonstruiert, zu gesteigerter Nibelungentreue zum Original....

Neues Label, neues Glück

Die Seiten wechseln. Wach bleiben. Immer wieder aufbrechen. Auf die innere Stimme hören. Nur tun, was man für richtig hält – egal, was den Musikmanagern und Mark(e)t(ing)experten dieser Welt gerade opportun erscheint. So hat es Anne Sofie von Otter immer gehalten. Seit drei Jahrzehnten ist die schwedische Mezzosopranistin im Geschäft, Anfang Mai wird sie ihren 56....

Lohnt sich doch

Dieser Carlo singt wahrhaft königlich. Sicher und strömend in allen Lagen, mit reizvoll verschattetem Tenor: Nikolay Dorozhkin nimmt als Dauphin, als noch ungekrönter König von Frankreich, das Publikum vom ersten Takt an für sich ein – zumindest vokal. Seine Darstellung ist weniger aufregend. Historisch war Karl VII. ein Zauderer, der tatenlos zugesehen hat, wie...