Die verlorene Ehre der Katerina

Trotz ihrer vier Morde ist sie die einzige Normale: Schostakowitschs «Lady Macbeth von Mzensk» kommt an der Komischen Oper Berlin ohne Russenfolklore aus und entpuppt sich als heiter-trostloses, leider noch immer aktuelles Emanzipationsprotokoll. Ein Team um Hans Neuenfels und der Dirigent Vassily Sinaisky sind dafür verantwortlich.

Opernwelt - Logo

Virtuos ist diese Musik nicht, weil sie dem Orchester Virtuoses abverlangt. Das tut sie sowieso. Virtuos ist, wie sie zwischen der unerträg­lichen Leichtigkeit des Seins und der nicht weniger unerträglichen Ernsthaftigkeit des Scheins pendelt. Es ist ja, auch wenn man es oft lesen kann, nicht so, dass Schostakowitsch seine Titelheldin nur oder vor allem auf die sanften Klänge einer russischen Julia bettet, die eben leider nicht mit dem Romeo glücklich werden kann, der zu ihr passt, weil die beide umgebende Gesellschaft böse oder borniert oder bigott ist.

Schostakowitsch interessiert sich, auch wenn er erst sechs­undzwanzig Jahre jung war, als diese Oper herauskam, nicht im Geringsten für solche Schwarz-Weiß-Malerei. Na­türlich: Er liebt seine Katerina, und sie bekommt ihr Violinsolo, wenn sie von der Sehnsucht spricht. Aber er liebt noch mehr die Liebe, die Katerina leben könnte, wenn sie nicht von Männern (und Frauen!) umgeben wäre, die unter Liebe etwas ganz anderes verstehen. Und wenn sie eine klare Vorstellung davon hätte, wie diese ihre Liebe eigentlich genau aussieht, was sie sucht.
Mit anderen Worten: Diese Musik vermisst einen Möglichkeitsraum. Sie ist so vordergründig ...

Weiterlesen mit dem digitalen Monats-Abo

Sie sind bereits Abonnent von Opernwelt? Loggen Sie sich hier ein
  • Alle Opernwelt-Artikel online lesen
  • Zugang zur Opernwelt-App und zum ePaper
  • Lesegenuss auf allen Endgeräten
  • Zugang zum Onlinearchiv von Opernwelt

Sie können alle Vorteile des Abos
sofort nutzen

Digital-Abo testen

Opernwelt Januar 2005
Rubrik: Im Focus, Seite 6
von Stephan Mösch

Vergriffen
Weitere Beiträge
Das zerissene Land

Mit Fernchören und Signalen aus dem Hintergrund, mit buntem Wechsel von martialischen Trommelklängen, Klagegesängen und poetischen Verinnerlichungen schuf Bellini in «I puritani» ein akustisch vielgestaltiges Panorama. Die Kontraste hat Lorenzo Mariani in seinem Berner Regiedebüt nördlich der Alpen in gut les­bare und auch starke Bilder umgesetzt. Die Liebe...

Der Vulkan aus dem Bidet

Wer aus geordneten deutschen Opernverhältnissen kommt, dürfte verblüfft, vielleicht sogar entsetzt sein über das, was die schlimmsten Vorurteile gegenüber südlichem Schlendrian bestätigt – und dann noch erstaunter, was in diesem chaotischen Umfeld trotzdem möglich ist. Es muss zum besseren Verständnis kurz beschrieben werden. Nehmen wir das Teatro Bellini in...

Wie willig waren die Komponisten der Nazi-Ära?

Mit seinen beiden Überblicksdarstellungen zur Sozialgeschichte des Jazz und der klassischen Musik im Dritten Reich hat der kanadische Sozialhistoriker Mi­chael H.Kater – zumindest in Deutschland – gewaltig Staub aufgewirbelt. Nun schließt er seine Beschäftigung mit acht Fallstudien über Komponisten der Nazi-Zeit ab. Dass es sich dabei nicht um «Komponisten im...