Verschmelzungsprozess
Wer eine zyklische Aufführung von Richard Wagners «Der Ring des Nibelungen» besucht hat, kennt sicher das Gefühl: Von Abend zu Abend wird man stärker in das Geschehen auf der Bühne hineingezogen. Die Figuren des Weltendramas erscheinen einem immer vertrauter: Wotan, Fricka, Brünnhilde, Siegmund und Sieglinde, Siegfried und Brünnhilde – alles gute Bekannte. Selbst die Finsterlinge aus Nibelheim, Alberich oder Mime, gewinnen allmählich an Sympathie, sind schließlich auch nur Menschen, die für ihre Herkunft nichts können.
In Bayreuth steigert sich diese wachsende innere Anteilnahme des «Ring»-Besuchers noch durch die Aura des Ortes. Man begrüßt die Nebensitzenden, auch das Ehepaar dahinter und den Mann mit dem Schottenrock vor einem. Alle scheinen irgendwie Mitwirkende der Handlung zu sein – schließlich sind die Themen, die da auf der Szene verhandelt werden, zeitlos: Liebe, Macht, Verrat, Geburt und Tod, Geldgier, kurzes Glück und tiefer Fall. Zyklische «Ring»-Aufführungen befördern die Kommunikation aller mit allen. Ein psychischer Verschmelzungsprozess.
Diese innige Vereinigung eines Theaterspiels mit dem Zuschauer gewinnt an Intensität, je weniger der einzelne ...
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Ein junger Mann im Orchestergraben hatte die wichtigste unter den vielen stummen Rollen des Abends. Seine Aufgabe bestand darin, die gerade benutzten Seiten der Dirigierpartitur festzuhalten und gegen die Windstöße des Mistral zu verteidigen. Er machte seine Sache gut. Und auch Michel Plasson war die Ruhe selbst: Er hat mehr Produktionen im Amphitheater von Orange...
Von den Protesten, die der Bayreuther «Ring»-Produktion 1976 entgegenschlugen, können sich viele, die nicht dabei waren, heute kaum noch eine Vorstellung machen. Dass grimmig blickende Menschen mit Transparenten um das Festspielhaus liefen, auf denen, groß und ernst gemeint, ein Alberich-Zitat stand, war dabei noch das Geringste: «Verflucht sei dieser ‹Ring›»....
Ich bin ein frommer Mensch. Ich komme von der Kirchenmusik», sagt Thomas Daniel Schlee und schaut zum wolkenverhangenen Kärntner Himmel auf, als die ersten dicken Tropfen fallen. Sollte der Herrgott da oben etwa schon wieder die Schleusen öffnen? Einmal mehr sintflutartige Niederschläge schicken, die den Ossiacher See fast zum Überlaufen brachten – und das mitten...