Apostel der anderen Avantgarde

Leif Segerstam hinterlässt vor allem als Dirigent ein epochales Vermächtnis

Opernwelt - Logo

Der korpulente, sein kindlich-treuherziges Antlitz hinter einem Rauschebart verbergende Leif Segerstam unterschied sich schon rein äußerlich von allen anderen Meistern des Taktstocks; die Ähnlichkeit mit Brahms wurde von den Plattenlabels höchst dankbar ausgeschlachtet, US-Amerikaner sahen Santa Claus in ihm, und wer sich in Finnland ein wenig auskannte, den erinnerte er an Runensänger aus Lappland oder an die weltfremde Erscheinung eines Frans Eemil Sillanpää, des Nobelpreisträgers für Literatur.

Da sein Name zudem für eine symphonische Überproduktion stand, die zuletzt mit 370 Gattungsbeiträgen nebst ebenso vielen anderen Werken zu Buche schlug, erntete er in der Musikszene zwangsläufig Spott. Der wäre eventuell leichter zu ertragen gewesen, wenn die stereotypen Diffamierungen nicht sein wahres Profil vernebelt hätten: Segerstam war auch künstlerisch ein Unikum, eine inkommensurable Größe unter den Dirigenten unserer Tage; er besaß die Gabe, die auratische, idiomatische Individualität von Musikwerken zu gestalten. In seinen besten Momenten gelangen ihm, bei voller Kontrolle der klanglichen und emotionalen Balance, Deutungen von geradezu verstörender Intensität. Konzertbesucher ...

Weiterlesen mit dem digitalen Monats-Abo

Sie sind bereits Abonnent von Opernwelt? Loggen Sie sich hier ein
  • Alle Opernwelt-Artikel online lesen
  • Zugang zur Opernwelt-App und zum ePaper
  • Lesegenuss auf allen Endgeräten
  • Zugang zum Onlinearchiv von Opernwelt

Sie können alle Vorteile des Abos
sofort nutzen

Digital-Abo testen

Opernwelt November 2024
Rubrik: Magazin, Seite 77
von Volker Tarnow

Weitere Beiträge
Nürnberg alaaf!

Endlich bekommt man die Beckmesser-Harfe einmal zu Gesicht! Dieses wie auf dürren Vogelbeinen stehende Zwerginstrument, das Richard Wagner erfand (oder erfinden ließ), um den gewünschten Fake-Klang für die Laute des Merkers zu erreichen: ein wenig kläglich, aber doch so, dass die Töne gut zu hören sind in einem großen Opernhaus. In Bonn bringt Beckmesser die Harfe...

Unwiderstehlich

Alexander Zemlinskys «Florentinische Tragödie» ist ein Werk von klaustrophobischer Dramatik: ein einziger Raum, darin drei Personen, die eine klassische Dreiecksgeschichte verhandeln. Zu einem Paar, das die gegenseitige Aufmerksamkeit für einander verlernt hat (oder sie noch nie besaß), gesellt sich ein junger Adeliger, der mit der Dame des Hauses nicht allzu...

Stirb und werde!

Der Teufel trägt Trenchcoat, beigefarben, darunter ähnlich getönten, ziemlich edlen Zwirn, einen Anzug samt Hemd und Weste; auf der Nase sitzt eine modische Brille. Könnte, so elegant, wie ihn Kostümbildnerin Julia Rösler eingekleidet hat, durchaus ein feiner Herr sein, doch ebensogut würde der grandios spielende und extrem variabel singende Krzszytof Bączyk als...