Einfach himmlisch
Eine gute Stunde Glück? Kein Problem. Man greife zu diesem Album, schiebe es in den CD-Player und lausche selige 66 Minuten, dann besteht kein Zweifel mehr: Das Glück ist nicht immer anderswo und ganz einfach zu erheischen. Jedenfalls dann, wenn eine Sängerin vom Format Sabine Devieilhes, die sich mit ihren gleichermaßen stilistisch distinguierten und dramatisch intensiven Durchdringungen von Händel- und Rameau-Rollen längst zur Barockkönigin aufgeschwungen hat, den Entschluss gefasst hat, sich den Liedern von Mozart und Strauss zu widmen.
Und dazu einen Pianisten an ihre Seite zu bitten, dessen Klangempfinden so fein und filigran ist, dass man an Größen des Fachs wie Irwin Gage, Gerald Moore oder Malcolm Martineau denken muss. Madame Devieilhe und Monsieur Pordoy sind ein Traumgespann.
Gleich die ersten Perlen in Mozarts scheinbar unscheinbarem Lied «Komm, liebe Zither, komm» blitzen, als habe der Pianist, der das Pedal scheut wie der Teufel das heilige Weihwasser, sie jahrelang geputzt, so flinkfingrig und behutsam geht er mit ihnen um. Das ist mindestens so delikat wie Devieilhes bergseeklarer, glockenheller Sopran, der sich auch in der deutschen Sprache zurechtfindet, ohne seinen (genuin französischen) Charme einzubüßen. Das Einfache, hier klingt es wirklich einfach, naturhaft, irgendwie vollendet. Und klingt noch so in Strauss’ «Nacht», die von Pordoy sinnlich-zart eingerahmt wird mit ätherischen pianissimi, und in der Devieilhe die Rosen der Sophie ausstreut, als sei sie gerade dem schönen Graf Rofrano begegnet. So weit die Linien, so weit der Atem, und wieder gewinnt man den Eindruck, diese Sängerin wisse gar nichts von den Schwierigkeiten, die nicht nur diesem Lied innewohnen. Sie singt es einfach, ausgestattet mit einer himmlischen Höhe, die selbst in den leisesten Tönen keine Risse aufweist. Ein Sommernachtstraum, der sich in dem Lied «Nacht» fortsetzt (auch hier duften die Rosen) und im berühmten «Ständchen» womöglich seinen Höhepunkt findet, obwohl dieses Album, wie angedeutet, ja eine ganze Stunde magisch in seinen Bann zieht und die Welt stillstehen lässt. Märchenhaft-mozartisch ist die Stimme der Französin hier, schwebend, zart, nein: zärtlich verdunkelt, wie ein Abendstern, den sie aber in diesem Fall selbst ansingt als Elfe, die sie zu sein scheint.
Diesem Klangzauber erliegt auch ihr Pianist, also spinnt er ihn fort in der «Waldseligkeit», die ebenfalls von Elfen bewohnt (und von Dämonen bewacht) wird, und wo Devieilhe das Kunststück gelingt, auf dem Wort «berühren» eine Linie bis fast in die Unendlichkeit zu ziehen. «Flieg, Möwe, flieg!», möchte man ihr zurufen. Aber sie singt einfach weiter wie ein sternenklares Sternlein über den Wolken, wo es so unvergleichlich schön ist (und wo die Klangteppiche des Klaviers aus Seidenbrokat zu sein scheinen), und landet dann bei jenem Lied, wo das Glück des Hörers und der Hörerin vermutlich seinen Gipfel erreicht – bei Strauss’ «Morgen!». Schon bei den Worten «Und morgen wird die Sonne wieder scheinen» ist die Sehnsucht der Stimme so groß, dass wohl selbst die Götter auf dem Olymp zu Tränen gerührt wären. Orpheus, das dämmert uns nun, war vermutlich eine Frau!
Wie auch immer: Das Geniale an diesem Album ist, dass Mozart wie Strauss klingt und Strauss wie Mozart. Als seien sie Brüder im Geiste (was sie ja in manchen Bühnenwerken des Bajuwaren für Momente auch waren), als gäbe es nicht die Zeit zwischen ihnen, jene 100 Jahre Einsamkeit, wie sie in den Liedern vor allem des Letzteren immer wieder anklingt. Sabine Devieilhe macht da keine Unterschiede, sie schenkt beiden ihren irisierenden, porzellanen Sopran, sei es im Quartett der «Mädchenblumen» von Strauss oder im «Veilchen» von Mozart, in dessen «Traumbild». Fast immer ist sie die «zaubrische Schwester der Sterne», wie sie in der «Wasserrose» besungen wird, nur ganz selten weht diese Stimme der Hauch des Zweifels an. Und dann ist er, wie in den drei Strauss-Liedern nach Karl Henckel dem Stück eingeschrieben. Mit Mozart hat es angefangen, mit seiner «Abendempfindung» endet dieses einzigartige Album. Was soll man sagen, außer: Es ist ein Glücksgriff. Einfach himmlisch!
MOZART, STRAUSS: LIEDER
Sabine Devieilhe (Sopran), Mathieu Pordoy (Klavier)
ERATO 5054197948862 (CD); AD: 2023
VERLOSUNG Am 13. Juni um 10 Uhr verschenken wir 5 Exemplare dieser CD-Box an die ersten Anrufer: 030/25 44 95 55
Opernwelt Juni 2024
Rubrik: CD, DVD, Buch, Seite 31
von Jürgen Otten
Ein Mann begegnet eines Tages jemandem, der genauso aussieht, wie er selbst – seinem Doppelgänger. Von Stund’ an wird der Titularrat Goljadkin im zaristischen Russland zum Objekt einer Bewusstseinsspaltung, die ihn schließlich in den Wahnsinn treibt. Soweit die Geschichte in Fjodor Dostojewskis Roman «Dvojnik» («Der Doppelgänger») von 1846. Eine Dystopie, schon deshalb waren die...
Dieser Nachfolger des großen Caesar übt noch, ein einschüchternder Herrscher zu sein. Zumal das hoheitsvolle Heben des Arms – welches Adolf Hitler knapp zwei Jahrtausende später, antike römische Imposanz imitierend, gar stramm zu perfektionieren suchte – will in seiner Wirkung überprüft sein, um im Einsatz vor den jubelnden Massen dann tunlichst nicht lächerlich zu erscheinen. Also probt...
Ein Lob vorweg: In der Neuproduktion von Kurt Weills und Bertolt Brechts «Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny» an der Griechischen Nationaloper sind alle acht Solisten sowie vier der sechs Chorus-Mädchen Einheimische. Ihre Diktion des Deutschen ist durchweg gut, im Fall von Anna Agathonos als Witwe Begbick sogar geschliffen – und auch der durch Agathangelos Georgakatos mit hörbarer...