Doch in der Ferne ein Licht

Kirill Serebrennikov deutet «Lohengrin» an der Pariser Opéra Bastille als düstere Kriegsparabel; Alexander Soddy dirigiert einen organisch atmenden, wohltuend trennscharfen Wagner

Gott ist allgegenwärtig. Und allmächtig. Egal, wohin man blickt in dieser «romantischen» Oper, in welche Gegend, in welchen Winkel, in welches Gesicht, seine Strahlkraft scheint unantastbar, unermesslich groß. Geht es vor Gericht oder um höhere Gerechtigkeit, wird allein er angerufen, fleht einer der Anwesenden um Gnade, richtet sich seine Hoffnung auf ihn, und selbst in den schlimmsten Momenten versichert man sich seiner Güte. Da ist nur ein kleines, aber nicht ganz unwichtiges Problem: Gott zeigt sich nicht.

Er ist abwesend. Und vielleicht ist er sogar tot.

Man kommt kaum umhin, an Nietzsches weit mehr verzweifeltes als genussreiches Verdikt zu denken, wenn man sich Kirill Serebrennikovs «Lohengrin»-Lesart in der Bastille zu Gemüte führt – und das beinahe buchstäblich. Denn unabhängig von der handwerklich hohen Qualität dieser Neuproduktion (es ist Serebrennikovs Debüt an der Opéra national de Paris) schleicht sich von Beginn an ein enormes Unbehagen ins Innere und übt dieses Unbehagen über fast viereinhalb Stunden zugleich einen unglaublichen Sog aus. Dieser «Lohengrin», der musikalisch zum Feinsten gehört, was die jüngere Rezeptionsgeschichte aufzuweisen hat, ist szenisch ...

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Opernwelt November 2023
Rubrik: Im Focus, Seite 6
von Jürgen Otten

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